Kuchenbaum BlätterDie Blätter fallen...
Die Blätter fallen...

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten... Ein sehr nachdenkliches und spirituell angehauchtes Gedicht von Rainer Maria Rilke (1875–1926). Der Dichter neigt in vielen seiner Werke zu mystischen Anschauungen und tiefer Naturverbundenheit. Der Mensch als Teil der Natur, wird bei Rilke zu einer mystischen Erlebniswelt und wir können gemeinsam mit dem Dichter und mit dem folgenden kurzen Herbstgedicht in diese Welt der Ur-Erfahrung eintauchen.

∼ Herbstgedicht ∼
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
Sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke

Bevor wir uns einer Interpretation der Verse widmen, sei noch gesagt, dass dieses schöne Gedicht von Rilke schon etwas schwierig Auszudeuten ist. Wenn wir für diese Zwecke ein Gedicht suchen (Schulunterricht), so mag Rilkes "Herbsttag", Friedrich Hebbels "Herbstbild"einfacher zu interpretieren sein, ebenso das kurze Herbstgedicht von Johannes Schlaf mit dem Titel "Herbstsonnenschein". Ebenfalls etwas melancholisch, wie Rilkes Herbstgedicht, sind die berühmten Verse von Friedrich Hölderlin: "Hälfte des Lebens".

Interpretation

Oben, in den einführenden Zeilen, wurde das „Einssein mit der Natur“ erwähnt und im Gedicht, spricht Rilke von "in den Himmeln ferne Gärten". Gärten sind Kulturland und keine reine Natur mehr. Diesen Unterschied wollen wir zunächst festhalten und in der Natur verbleiben.
An stürmischen, wie an stillen Herbsttagen, an denen die Blätter fallen, wird dem Menschen in der Einsamkeit vor allem der große Zeitzyklus der Jahreszeitenuhr gewahr. Die Zeitlichkeit prägt neben den sichtbaren Formen und Farben der dinglichen Welt, und deren Gerüchen und fühlbaren Naturgewalten, besonders im Herbst das Gefühl des Ausgesetztseins gegenüber dieser Zeit- und Naturgewalten.
Wer sich aber immer mehr als Teil dieser Zyklen und Welten verstehen lernt, der sieht sie mit zunehmender Lebenserfahrung nicht mehr als ein Gegenüber und schon gar nicht mehr als Lebensfeindlich, so wie die Natur sich durchaus zeigen kann.
Der Mensch fühlt sich als Teil der Natürlichkeit. In diese Welt taucht der Dichter ein und weist auf ein Gegenüber und das sind diese "ferne Gärten", welche wir durchaus als neue Daseinsqualität verstehen sollen, als einer Art veredelter Natur, in welche die meisten Menschen unserer Zeit hineingeboren wurden. Doch diese neue Qualität kann nur begriffen, ertastet und erlebt werden, wenn sie sich aus der wahren Erkenntnis der Ur-Natur heraus entwickelt. Zu dieser müssen wir erst zurück finden und völlig von dieser Kultur-Lebenswelt getrennt und verlassen sein, um unseren Ur-Kern des Lebens zu stärken. Von dieser Position heraus werden auch wir diese "fernen Gärten" einstmals erreichen. Mit diesen Gedankengängen lesen wir also die erste Strophe des Herbstgedichtes und dann die weiteren und werden diese Trennungsgedanken, welche die Verse immer wieder dominieren, im Herzen verstehen lernen.
Gedichtinterpretation: G. Jacob
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