
So mancher Kleingärtner wird durch Pressemitteilungen und teils widersprüchliche Aussagen in den Medien verunsichert, wenn es um die private Weitergabe und im kleinen Stil auch um die Vermarktung von Saatgut aus dem eigenen Garten geht. Überwiegend handelt es sich ja bei der Weitergabe um alte Sorten, deren Erhaltung einer wachsenden Zahl von Gartenfreunden am Herzen liegt. Auch ich habe mir darüber schon oft Gedanken gemacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Grundsätzlich sollte man die Züchtung und Weitergabe alter Gemüsesorten unter neuen Aspekten sehen. Nach deutscher Saatgutverordnung ist es verboten, nicht zugelassene Gemüsesorten in den Handel zu bringen. Wer sich nicht sicher ist, kann beim Bundessortenamt beschreibende Sortenlisten einsehen. Was dort nicht aufgelistet ist, darf nicht gehandelt werden. Doch dieser Sichtweise liegt ein grundlegender Fehler zu Grunde. Die meisten der alten Landsorten sind nur Zuchtlinien, und Gärtner und Bauern bauten nie fertig gezüchtete Kulturpflanzen an. Sie waren selber Züchter wie auch Selbstvermarkter ihrer Produkte. Erst der Handel von Sämereien schuf Probleme, welche es vorher nie gab.
Video-Notizen zur Thematik (Mitte Februar 2017, "Projekt Weiterzüchten")
Definitionen
Wie entstanden diese Probleme? Hier meine These: Im 20. Jahrhundert kam es mit dem Aufkommen der Gemüsehochzuchtsorten zu einer neuen Definition des Begriffs "Sorte" (bezogen auf Kulturpflanzen). Man kannte (noch) die sogenannten Landsorten (Gruppensorten) und daneben neu die sogenannten Hochzuchtsorten (Einzelsorten). Erstere wurden im Lande an mehreren Orten erhaltungszüchterisch bearbeitet und waren genaugenommen keine fertig gezüchteten Kulturpflanzen. Letztere produzierte man nur an einer einzelnen Stelle (von einem einzelnen Unternehmen), um damit Handel zu treiben.
Ziel und Zweck dieser züchterischen Arbeit war und ist es auch heute noch, Saatgut in gleichbleibend hoher Qualität zu erzeugen. Zudem sollten die mit dem handelbaren Saatgut angebauten Gemüse bestimmte definierte Eigenschaften konstant aufweisen. Man wollte also arbeitsteilig über den Handel hochwertiges und eigenschaftskonstantes Saatgut zur Verfügung stellen. Allerdings wurde der Sinn und Begriff der oben zuerst genannten Landsorten (Gruppensorten) mit der Zeit immer mehr verwässert. Heute sprechen wir von "Sorten" und haben vergessen, dass sie dem Wesen nach ganz unterschiedliche und nicht vergleichbare Kulturpflanzen (inklusive Samen) sein können.
Geschichtlicher Rückblick
Wenn es im 18. Jahrhundert noch weitgehend üblich war, die angebauten Gemüsevarianten regional selber zu vermehren, so entwickelte sich im 19. Jahrhundert der Samenhandel mit der dazugehörigen Saatgutvermehrung (Saatzucht) zum florierenden Geschäft, anfangs durch Handelsgärtnereien, später durch Warenhändler und Saatzuchtbetriebe. Heute haben dieses Feld Konzerne und Syndikate weitestgehend übernommen. Nun war es aber bereits im 19. Jahrhundert in der Fachliteratur ein ständiges Thema, dass die Samenhändler ihren Kunden häufig auch minderwertiges Saatgut verkauften. Das war nicht besonders schwer. Man mischte beispielsweise alten mit neuem Samen oder verkaufte minderwertiges Zuchtmaterial. Wer seine Sämereien selber produzierte, hatte das Problem natürlich nicht. Doch je mehr der Handel die Ökonomie der Gartenbaubetriebe beeinflusste, wurde eine Reglementierung der Saatzucht und des Saatguthandels von Seiten des Staates nötig.
Gesetze und Verordnungen
In Deutschland verabschiedete die nationalsozialistische Regierung im vierten Jahr ihrer Amtszeit das Pflanzenzuchtgesetz 1937 und das Saatgutgesetz 1937 (auch ein Rebenverkehrsgesetz?). Aufbauend auf dieser Grundlage ging es dann, um beim Beispiel Deutschlands zu bleiben, weiter mit dem: Bundesgesetz über die Saatgutanerkennung, die Saatgutzulassung und das Inverkehrbringen von Saatgut sowie die Sortenzulassung (Saatgutgesetz 1997 – SaatG 1997) mit ständigen Änderungen bis heute.
Und mit der Verordnung über den Verkehr mit Saatgut landwirtschaftlicher Arten und von Gemüsearten (Saatgutverordnung) SaatV (21.01.1986) mit ständigen Änderungen bis heute. Diese Saatgutverordnung ist übrigens als eine handelsrechtliche Verordnung erkennbar. In Planung ist eine EU-Saatgutverordnung, die alle Bereiche, vor allem aber den Verkauf von Saatgut regeln soll. Am 6. Mai 2013 stellte die Europäische Kommission ihre Idee einer "EU-Saatgutverordnung" vor, welche nach heftigen Bürgerprotesten am 11. März 2014 im "Europaparlament" mit 650 zu 15 Stimmen abgelehnt wurde. Abgesehen davon, dass es für die Öffentlichkeit kaum ein besseres Beispiel gibt, um zu zeigen, wessen Geistes Kind die EU-Kommissare sind und wessen Interesse sie vertreten, zeigen uns ähnliche Gesetzesprojekte in der Welt, wohin die Reise gehen soll. Ich nenne hier ähnliche Gesetzeswerke, welche bereits in Kraft getreten sind, und über die man sich weiter informieren kann. (Meine Recherchen hierzu sind noch etwas spärlich, und ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit):
- eine repressive Saatgutverordnung gegenüber den Bürgerrechten ist seit 2010 in Kolumbien in Kraft - "Verordnung 970" der Landwirtschafts- und Viehzuchtbehörde (ICA)
- in Kanada und den U.S.A. (nur einige US-Staaten?) ist seit einigen Jahren per Gesetz (angeblich?) untersagt, Heilkräuter selber im Garten anzubauen, privat anzuwenden, weiterzugeben und öffentlich Aussagen über die medizinischen Heilwirkungen dieser Pflanzen zu machen.
- in Neuseeland gibt es seit 2010 ein Gesetz (NZ Government Food Bill 160 – 2 vom 26.05.2010 / 22.07.2010), welches den Anbau und Verzehr von natürlichen Nahrungs-Pflanzen im eigenen Garten und auf eigenem Feld angeblich genehmigungspflichtig und kontrollpflichtig macht. Dort ist wohl auch der Samentausch unter Gartenfreunden verboten.
Fazit
Die oben gemachten Recherchen zeigen uns auf, wie das Handelsrecht, welches das Lebend der Menschen in modernen Industriegesellschaften mehr und mehr bindet, in alltägliche Lebensbereiche eindringt. Keine freie Frau und kein freier Mann konnte sich noch zum Ende des 20. Jahrhunderts derartiges vorstellen (z.B. Verbot von Samentausch). Plötzlich greifen Handelsgesetze radikal in gottgegebene, menschliche Freiheiten ein und zeichnen eine verstörend wirkende Zukunftsvision der Menschheit. Die Gesellschaft von Morgen wird wohl eine von totalüberwachten, reglementierten und maximaloptimiert-ausgebeuteten Bürger-Personen sein. Und selbst was in deren Nutzgärtchen privilegiert angebaut werden darf (mit entsprechender Gewinnabgabe versteht sich), bestimmen gnädig die weltbeherrschenden Syndikate.
Die Alternative
Es gibt aber noch eine ganz andere Herangehensweise, welche zunächst allerdings nur die Kleingärtner, Selbstzüchter und Selbstvermarkter betrifft. Dieser neu überdachte Umgang und Anbau von Gemüsen wird meiner Ansicht nach von den oben genannten Handelsgesetzten nicht berührt. In dieser Richtung sollten Bürgerrechtler auch aktiv werden, ihre "alten Rechte" (Menschenrechte) und Besitzstände verteidigen und somit die Nutzpflanzenvielfalt bewahren.
Die oben erwähnten Gesetze und Verordnungen beziehen sich ihrem Wesen nach auf den Anbau von Lebensmitteln für den Handel, wobei mitunter (nach meiner Beobachtung) der rechtliche Winkelzug Anwendung findet, dass z.B. beim Gemüse auch der Samen das zu handelnde Lebensmittel oder das genehmigungspflichtige Lebensmittel (Gesundheitsgründe) verkörpert. Deswegen werden in manchen Staaten Lebensmittelgesetze auch auf das Saatgut übertragen.
Erinnern wir uns aber an die besagte Vorgeschichte, als es noch gar kein handelbares Gemüsesaatgut gab. Damals herrschte das alte Bauernrecht. Getreu dem Subsidiaritätsprinzip war der Bauer oder Gärtner die rechtliche Instanz, die über Pflanzenvermehrung und Anbau entschied. Der Bauer griff bei seiner Arbeit auf Zuchtlinien selbstausgelesener Kulturpflanzen zurück, welche die verschiedensten Völker seit der Jungsteinzeit als Nahrungs- und Futtermittel verwendeten. Es gab in jener Zeit keine fertigen Sorten im heutigen Sinne. Der Samenkauf für die Produktion war sicher nicht die Regel, denn das Risiko war dann doch zu hoch, die Katze im Sack gekauft zu haben. Bauern und Gärtner züchteten beständig ihre "Landsorten" selber und qualitativ weiter, natürlich auch mit überregionalem genetischen Transfer.
Ein Beispiel: Ein Rittergutsbesitzer brachte von seiner Italienreise neue, interessante Sämereien wie z.B. italienischer Blumenkohl (Romanesco) mit. Diesen kultivierte eine Bäuerin zunächst für drei oder vier Jahre in ihrem Garten mit besonderer Aufmerksamkeit und mit dem jährlich neu gewonnenen Saatgut. In diesem Zeitraum passen sich fremde Gemüsepflanzen genetisch und memetisch an den neuen Standort an. Ab dem dritten Jahr mag dann die Bauersfrau den neuen, italienischen Blumenkohl umfänglicher vermehrt haben, indem von dieser neuen "Landsorte" nur bestimmte Mutterpflanzen für das Saatgut ausgewählt wurden. Vielleicht waren es diejenigen Pflanzen, welche besonders zeitig ihre "Kohlblumen" ausbildeten. Der Ertrag deckte bald den Eigenbedarf des Ritterguts und darüber hinaus die Nachfrage auf den umliegenden Märkten (Selbstvermarkter). Die Bäuerin hatte somit frühen italienischen Blumenkohl im Angebot aber keine bestimmte Sorte nach unserem heutigen Verständnis. Allerdings ist es ziemlich aufwändig, guten Blumenkohlsamen zu ziehen. Wenn sich die Bäuerin aus Bequemlichkeitsgründen nun aber den Samen in Erfurt per Katalog bestellte, und das war schon um 1770 möglich, hebelte sie ihr altes Gewohnheitsrecht (Bauernrechte, welche mehr gelten als staatliche Privilegien) selber aus und begab sich mit ihren Geschäften ins sogenannte Handelsrecht.
Dieser Rechtskreis ist heute ein unüberschaubares Konstrukt und ohne fachlichen Beistand nicht zu überschauen. Das Gewohnheitsrecht (man mag es auch Ureinwohnerrecht nennen) hingegen verblieb einfach. Alte Rechte haben Bestand (Schlagwort "Urproduktion).
Meine Vorschläge sind deshalb diese (Achtung, das ist keine Rechtsberatung.):
- geh nie freiwillig ins Handelsrecht, bleib möglichst Selbstversorger oder Selbstvermarkter (Selbstvermarkter sind keine Händler!)
- ändere deine Sprache; sprich wieder von "Landsorten" und definiere sie als Zuchtlinen und/oder genetisches Material
- versteh die Landsorten als eine den Menschen begleitende Natur (Menschenbegleitnatur) – sie sind kein menschliches Produkt
Literatur, Notizen:
- DDR Ministerium für Land- und Forstwirtschaft; "Ratgeber zur Sortenwahl landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Pflanzenarten"; Berlin 1951
- http://www.anwalt.org/agrarrecht/ (Stand 20.2.2017)
- http://www.erfurt.de/ef/de/engagiert/ef/blumenstadt/index.html
- eine vergleichbare Definition gegenüber der Landsorten ist heute vielleicht der Begriff der Amateursorten
- das Saatgutverkehrsgesetz unterscheidet in § 2 zwischen Saatgut und Vermehrungsmaterial
- beachte: die "Saatgutgesetze" beginnen zunächst mit Begriffsbestimmungen
- die Landsorten gehören eigentlich nicht in Samenbanken, sondern sind die lebendige Weitergabe variierenden Genmaterials; sie definieren sich durch die Nutzung
- https://homment.com/EU-Saatgut-Verordnung
Inhaltlicher Hinweis: Die hier dargelegten Themen stellen eine wissenschaftliche These dar und haben nicht die Funktion einer rechtlichen Beratung.
[ZP.01.11.22.TJ.2.2]