Die Postwachstumsökonomie (auch: Degrowth, Degrowth-Bewegung [1]) ist ein ökologisch-ökonomischer Ansatz, der sich mit der Frage beschäftigt, wie eine nachhaltige und gerechte Wirtschaft jenseits des ständigen Wirtschaftswachstums erreicht werden kann. Wissenschaftliche Vertreter dieser Theorie haben verschiedene Lösungsansätze entwickelt, um diesem Ziel näher zu kommen.
Die Postwachstumsökonomie stellt das gängige Konzept des stetigen wirtschaftlichen Wachstums in Frage und plädiert stattdessen für eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, eine Verringerung der sozialen Ungleichheit und eine Neuorientierung der Werte, weg von materiellem Konsum hin zu einem höheren Maß an sozialem Wohlbefinden und ökologischer Stabilität.
Die Degrowth-Bewegung betrachtet das gegenwärtige Wirtschaftssystem als nicht nachhaltig und auch als unvereinbar mit den ökologischen Grenzen des Planeten. Sie argumentiert, dass unendliches wirtschaftliches Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht möglich ist und zu ökologischen Krisen wie Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung führt. Stattdessen setzt sie sich für eine Umkehrung des Wachstumsparadigmas ein und fordert eine Reduzierung des materiellen Verbrauchs, eine Veränderung der Produktions- und Konsummuster sowie eine stärkere Fokussierung auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit.
Degrowth – Schrumpfung der Wirtschaft
Die erste und zunächst zentrale Idee in der Postwachstumsökonomie ist das Konzept des Degrowth oder der "Schrumpfung" als Gegenpol zum Konzept der stetig wachsenden Wirtschaft. Dies bedeutet, dass die Wirtschaft bewusst kleiner und effizienter gestaltet wird, um Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen zu reduzieren. Dies kann durch Maßnahmen wie Konsumreduktion, kürzere Arbeitszeiten und weniger Materialintensität erreicht werden.
Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft – Permakultur
Ein weiterer wichtiger Lösungsansatz ist die Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz sowohl in der Produktion als auch im Konsum. Durch den Einsatz effizienterer Technologien und die Förderung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster können der Einsatz von Ressourcen (ganz besonders deren Verschwendung) und daraus resultierende Umweltbelastungen verringert werden.
Die Einführung einer Kreislaufwirtschaft, bei der Abfälle als Ressourcen betrachtet und wiederverwertet werden, spielt eine wichtige Rolle in der Postwachstumsökonomie. Durch die Förderung von Recycling, Langlebigkeit und Reparatur von Produkten kann der Materialverbrauch reduziert und die Umweltbelastungen minimiert werden.
Es ist wichtig anzumerken, dass diese alternative Ökonomie eine breite und vielfältige Strömung ist und verschiedene wissenschaftliche Vertreter unterschiedliche Lösungsansätze und Schwerpunkte verfolgen können. Ein eigener Themenschwerpunkt hierbei ist die Permakultur, welche vorzugsweise den Bereich Gartenbau und Landwirtschaft im Blick hat.
Neubewertungen und Gemeinwohl-Wirtschaft
In der Postwachstumsökonomie wird neuerdings auch der Fokus auf eine prinzipielle Neubewertung von Wohlstand und Fortschritt gelegt. Anstelle des reinen Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Maßstab für den Erfolg einer Volkswirtschaft werden alternative Indikatoren wie das Bruttonationalglück, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit betrachtet.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist die Förderung einer Wirtschaft, die sich am Gemeinwohl orientiert und in der nicht nur finanzielle Gewinne, sondern auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Genossenschaften, solidarische Wirtschaftsmodelle und alternative Finanzierungssysteme sind Beispiele, die darauf abzielen, das Gemeinwohl zu stärken.
Entstehung und Bewertung der Degrowth-Bewegung
Die Anfänge der Kritik am wachstumsorientierten Wirtschaftsmodell reichen wohl bis in die 1970er Jahre, als Nachhaltigkeits- und Umweltfragen verstärkt in den Fokus rückten. Der Bericht "Die Grenzen des Wachstums" (1972) des "Club of Rome" mag dabei auch ein auslösendes Moment gewesen sein. In den 2000er Jahren nahm die Diskussion um Postwachstum an Fahrt auf. Das Konzept wurde von sehr verschiedenen Akteuren weiterentwickelt, und ich halte die Zeitspanne des ersten Jahrzehnts für hochinteressant. In jener Zeit (noch vor der Thematisierung des Klimawandels) stellte man vor allem das Konzept der Produktlebensdauer und der Nachhaltigkeit im Lebenszyklus [2] eines Produktes in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es wurden Diskussionen über die Einführung von Kennzeichnung oder Zertifizierungen für langlebige Produkte geführt, um Verbrauchern eine informierte Kaufentscheidung zu ermöglichen. Auch der Begriff "ökologischer Fußabdruck" [3] stammt aus jener Zeit. So standen beispielsweise auf den Ausstellungen der Bundesgartenschauen in den ersten Jahren des neuen Jahrtausend die nachwachsenden Rohstoffe und deren Recyclingfähigkeit hoch im Kurs, womit der Blick auf eine vernünftige Kreislaufwirtschaft gelenkt werden sollte.
Diese Denkrichtung verkümmert seither allerdings in dem Maße, in der die Klimapolitik zu dominieren begann und neue Wirtschaftsinteressen entstanden. So werden heute z.B. Windräder mit einer Lebensdauer von 20 oder 25 Jahren gebaut, von denen wir besser erst gar keine Lebenszyklus- [2], oder Cradle-to-Cradle-Analyse [4] anfertigen, geschweige denn über die Recyclingfähigkeit einer Windkraftanlage samt Rotorblätter und Betonfundament [5] nachdenken.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 spielt ebenfalls eine Rolle bei der Stärkung des Interesses an Alternativen zum bestehenden Wirtschaftsmodell und der Suche nach neuen Ansätzen für eine nachhaltige und gerechtere Wirtschaftsordnung. Mir ist es wichtig, anzumerken, dass die Postwachstumsökonomie ein dynamisches und vielfältiges Feld ist, welches von einer breiten Palette von Akteuren, Forschern und Aktivisten bearbeitet wird. Heute spielen neben Konzepten zur Eindämmung des Klimawandels sogar Feminismus und Intersektionaler Feminismus eine Rolle [6]. Allerdings wird bei solch einem Ideen-Feuerwerk ganz offensichtlich die Ursprungsidee immer weiter fragmentiert. So staunt man über dieses Feuerwerk der erzwungenen Tatenlosigkeit, denn brauchbare Lösungen für ein Gesellschaftsmodell werde einfach nicht gefunden.
Der Maßstab für einen Lösungsansatz
Wenn ich festgestellt habe, dass Lösungen aus ökonomischer Sicht noch nicht gefunden sind, so resümiere ich daraus, dass es in der Degrowth-Bewegung nur einen brauchbaren Maßstab gibt. Wenn es nicht Geld und Wohlstand (im herkömmlichen Sinne) sind, so müsste es doch zumindest der Faktor Lebenszeit sein. Die 20-Stunden Arbeitswoche ist in diesem Sinne ein festes Richtmaß. Daraus folgt mehr Freizeit für die Menschen ohne jedoch ein gesundes Konzept für die Gestaltung der Lebenszeit anzufügen. Für viele von uns ist Freizeit gleichbedeutend mit Unterhaltung und Nutzung der Angebote der Freizeitindustrie. Doch genau genommen wird diese auch nur durch den Verbrauch an Ressourcen am Leben erhalten. Was dabei völlig außer Acht gelassen wird, ist die, etwas überspitzt-ironisch ausgedrückt, artgerechte Lebensweise von uns Menschen.
De vita beata
Aus der antiken Philosophie kennen wir dazu Begrifflichkeiten wie "Eudaimonia" und “De vita beata”, was schlicht und einfach "glückliches Leben" bedeutet. Für die Gelehrten der Antike war Eudaimonia eng mit moralischer Tugend und einer entsprechenden Lebensweise verbunden. Das bedeutet, ein gutes und tugendhaftes Leben zu führen und als Mensch sein volles Potential (Fähigkeiten und Begabungen) zu entfalten. Dabei geht es um eine ganzheitliche Betrachtung der Lebenszeit, die sowohl die geistige, körperliche als auch soziale Seite des Lebens umfasst. Das Besondere dabei ist, dass damals zu diesen Themen ein geselschaftlicher Diskurs stattfand, den ich heute weitestgehend vermisse.
Wer kann von sich behaupten, in der Lage zu sein, sein volles Potenzial als Mensch entfalten zu können? Wer will das überhaupt? Wer lehrt es uns und ist uns Vorbild? Im Gegenteil, dem Menschen werden, ohne dass er sich dessen so richtig bewusst wird, seine Ressourcen an Selbstbestimmung, Lebensraum, Zeit und erarbeiteter Lebensleistung entzogen.
Thomas Jacob, 15. Mai 2023
[1] Degrowth (französisch: décroissance) Degrowth Economics ab. Die Degrowth-Bewegung ist eine soziale, politische Bewegung.
Eine weitere Bezeichnung ist: "Steady-State Economics", was man zu Deutsch als "Wirtschaft im Gleichgewicht" oder "gleichgewichts-orientierte Wirtschaft" übersetzen kann.
[2] Lebenszyklusanalyse (LCA) – Eine Methode zur Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg, einschließlich der Ressourcenverwendung, Emissionen und Abfälle.
[3] Der ökologische Fußabdruck ist ein Maß dafür, wie sich der Lebensstil einer Person, einer Gemeinschaft oder einer Nation auf die Umwelt auswirkt. Er berechnet den Flächenbedarf (meist in Hektar) für Ressourcenverbrauch und die Aufnahme von Abfällen, um den Lebensstil aufrechtzuerhalten.
[4] Cradle-to-Cradle ist ein Konzept, bei dem Produkte so gestaltet werden, dass sie nach ihrer Nutzung vollständig wiederverwertet oder biologisch abgebaut werden können, ohne Abfall oder Schadstoffe zu hinterlassen.
[5] Beton ist bekannt dafür, dass bei seiner Herstellung CO2-Emissionen entstehen, hauptsächlich durch den Abbau von Kalkstein und die Kalzinierung des Kalksteins zur Herstellung von Zement.
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Degrowth
weitere Quellen:
— https://degrowth.info/de/degrowth-de
— https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumskritische_Bewegung
— https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumskritik
[TJ.28.10] I