BergseeBlick ins Tal.
Blick ins Tal.

Mit gelben Birnen hänget und voll mit wilden Rosen... Ein melancholisches Gedicht des bekannten Dichters Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) über den Spätsommer des Lebens. Es stammt aus dem Jahre 1804 und gehört zu den berühmtesten Gedichten Hölderlins. Erschienen ist es erstmals im 'Taschenbuch für das Jahr 1805' (Herausgeber Friedrich Wilman).

∼ Hälfte des Lebens ∼

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne;
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin (1804)

Interpretation und Vergleich mit Goethes “Ein Gleiches”

Es ist ohne Zweifel eines der merkwürdigsten, aber auch berühmtesten deutschen Gedichte, welches im Geiste wohl auch dem bekannten Goethegedicht “Ein Gleiches (Über allen Gipfeln ...) ähnelt. Es sind Verse, die man nicht unbedingt mit dem Intellekt aufnehmen kann. Es ist eine Art Notenschrift und eine Wortmelodie, welche unter Umgehung des Verstandes direkt das Herz begreifen lässt.
Der Anfang der Zeilen mag einem klassischen Naturgedicht noch ähnlich sein:
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See

Das Bild zeichnet einen Spätsommertag und eine Landschaft, welche sich auf der Wasseroberfläche eines Sees spiegelt. Das erfordert eine glatte Wasserfläche und intuitiv haben wir das Bild eines windstillen Spätsommertages vor uns, und ein Schweigen der Natur, welches uns wiederum an die Goetheverse erinnert. Das Spiegelbild im See kann hier in diesem Zusammenhang durchaus die Metapher für die unsichtbare, geistige Parallelwelt sein, welche der Dichter intuitiv für einen kurzen Moment wahrnimmt.
Ihr holden Schwäne;
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Die Schwäne, welche sich nicht mehr um die Aufzucht ihrer Jungen kümmern, erleben eine kurze Phase der Ruhe und Unbekümmertheit. Es sind das, was die Griechen als halkyonische Tage bezeichneten, eine gewisse melancholische Stimmung vor stürmischen Tagen. Die Zeit scheint kurz still zu stehen und langsam zu vergehen. Das prägt auch die erste Lebenshälfte des Menschen.

In der Rezitation des ersten Gedichtteils kommt es darauf an, kleine Pausen an richtiger Stelle einzufügen.
Die zweite Hälfte des Gedichtes malt nun einen scharfen Kontrast zu den ersten sieben Zeilen und das ist ein prägnanter Unterschied zu Goethes “Über allen Wipfeln ist Ruh”. Der Dichterfürst kommt ohne solche Gegensatzbilder aus und erreicht gleiches.
Hölderlin wählt aber in der zweiten Hälfte seines Werkes ein kontrastreiches Sprachbild in allen Teilen seiner Semantik und nun eine scharfe Wortmelodie. Man betone beim rezitieren der Verse die W-Worte:
Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

In der zweiten Lebenshälfte des Menschen vergeht die Zeit nun wie im Fluge. In der Rezitation des zweiten Gedichtteils kommt es darauf an, Pausen an richtiger Stelle eher wegzulassen, als einzufügen.
Bemerkt sei im zweiten Teil auch der Bildkontrast zwischen den scheinbar materielosen Wesenheiten der Blumen, Licht, Wind und klirrenden Töne und den Grenzen setzenden Mauern. Und selbst innerhalb der transzendenten Symbolik fügt Hölderlin Gegensatzdarstellungen ein: Sonnenlicht und Schatten der Erde. Immer findet sich die hälftige Teilung, welche am Ende Fragen stehen lässt und keine Antwort gibt. Sprachlos nimmt der Leser der Verse eine Betrachtungsposition ein, welche stehen bleiben sollte. Anderenfalls könnte das Gedicht und die Stimmung zerredet werden. Damit gleichen sich am Ende dann doch wieder die Gedichte von Hölderlin und Goethe(1749 – 1832).

16 statue der vestalin vor pyramideSchlosspark Machern bei Leipzig

Die Verse Hölderlins wollen Gefühle und Empfindungen erzeugen und stellen damit vielleicht den Ausklang des sogenannten Zeitalters der Empfindsamkeit dar. Auch in der Gartenkunst hatte man dieses Bestreben sentimental-romantische Naturgefühle zu wecken. Wer in Sachsen unterwegs ist, der mache einen Abstecher in den Romantikergarten "Schlosspark Machern", wo das Kunstkonzept auf besondere Art und Weise umgesetzt wurde.


Quellen, Literatur:

  • Schwab, Christoph Theodor; Friedrich Hölderlin's sämmtliche Werke; Stuttgart und Tübingen 1846
  • Eine interessante Bewertung des Gedichts findet sich in nachstehender Literaturquelle auf Seite 145. Hierin ist unter dem Kapitel "Im Banne das Wahnsinns" kritisch bemerkt: Der Dichter setzt in ihnen [Gedichte aus Hölderlins psychischer Krankheitsphase] zu hohem Fluge an, aber man hat ständig das Gefühl, dass er selbst unsicher ist, dass er nicht immer die rechten Worte finden kann, um seine Gedanken klar auszudrücken, ...
  • Rastatt, Carl Müller (Dr. phil.); Friedrich Hölderlin. Sein Leben und sein Dichten; Bremen 1894