Tempel der Hygieia KupferstichTempel der Hygieia, Kupferstich aus dem Jahre 1799.
Tempel der Hygieia, Kupferstich aus dem Jahre 1799.

Die Gemeinde Machern liegt nahe der Stadt Wurzen, östlich von Leipzig. Der Schlosspark, ein beliebtes Ausflugsziel, befindet sich direkt im Ort, unmittelbar im Anschluss an das Macherner Schloss und er ist einer jener stimmungsvollen Landschaftsgärten des späten 18. Jahrhunderts, in denen sich auf eindrucksvolle Weise das sentimental-romantische Naturgefühl einer Epoche manifestierte, für die die Kulturgeschichte den zutreffenden Begriff des Zeitalters der Empfindsamkeit geprägt hat. [1]

Die Anlage ist, zusammen mit dem Landschaftspark Seifersorfer Tal (1781), die älteste seiner Art in Mitteldeutschland und eine Urkunde belegt, dass die Arbeiten am Park 1782 im Auftrag des Grafen Karl Heinrich August von Lindau begonnen wurden. Im Jahr 1799 war das Werk fertiggestellt und zeigt uns in der Ausführung die klare Handschrift des Christian Cajus Laurenz Hirfeld, dem einflussreichsten deutschen Theoretikers der empfindsamen Gartenkunst. Er war zur damaligen Zeit gewissermaßen das, was man heute einen berühmten und bekannten Gartenarchitekten nennt.

Schloss Machern, Stich von G. Täubert Stich von G. Täubert

Sicher ist, dass als Vorbild der 1764 begonnene Wörlitzer Park diente und in Machern die Idee der gestalteten Natur, wie sie von den englischen Gärten herrührt, konsequent übernommen wurde. Im Vergleich zu Wörlitz ist der Macherner Park in seiner Fläche zwar kleiner, dafür sind die in der Anlage zu findenden Parkarchitekturen nicht so weit voneinander entfernt. Mag man später bei den Landschaftsgärten allgemein beklagen, dass der Spannungsbogen dieser Art der Gartengestaltung weitläufiger Naturmotive nicht allzuweit ist, doch in Machern sind alle Motive auf Kurzweil angelegt – vorausgesetzt, man weiß um ihren Sinn. Und da sind wir auch schon bei des Pudels Kern. Man könnte sich bei der Parkbeschreibung etliche Seiten lang damit aufhalten, über die Tempelchen, Ruinen und die Parkpyramide ausführlich zu referieren, doch dieses malerische Bildprogramm des Planers (oder Symbolprogramm, wie man es auch nennen kann) hatte den Sinn, dass sich das Äußere der Anlage in der eigenen Seele widerspiegelt.

Denkende Muse PlastikPolyhymnia, die Muse des Hymnengesanges in nachdenklicher Pose.

Zeit für Muse haben

Zu verstehen ist das so: Der Besucher, der den Park vom Südwesten her betritt, findet zunächst auf dem Weg zur Südseite des Sees die erste Bild-Station am sogenannten "Englischen Dreieck". Das ist die Plastik der denkenden Muse, welche auf einem entsprechend geformten Rasenstück an einer Weggabelung vor sich hin sinniert, und die der Besucher durchaus als einführendes Symbol deuten kann. Wählt er den Pfad zu Rechten, so geht er schnurstracks wieder aus dem Garten heraus. Wählt er jedoch der Weg auf der Seite des Herzens, führt ihn die Wanderung weiter in den Schlosspark hinein.

Tulpenbaum Blatt Der aus Amerika stammende Tulpenbaum bringt ein wenig Exotik in die Parkanlage.

Nun muss man wissen, dass in der Antike die Vorstellung vorherrschte, die Ideen eines Menschen und besonders die der Künste haben nicht im Menschen selber ihren Ursprung, sondern rühren von den Göttern wie eingehaucht her. Diesen Kuss der Muse zu empfangen, geht er nun auf die Reise. Zu Beginn begegnet er Polyhymnia, der Muse des Hymnengesanges, des beredten Schweigens (muta loqui), sowie der Geometrie als eine der sieben freien Künste. Die Polyhymnia ist hier typisch mit ihren wenigen Attributen dargestellt: Ernsthaftigkeit, in sich versunken im langem Gewande und mit abgenommenem Schleier, und dazu den Ellenbogen auf einen Pfeiler gestützt. Der Wanderer geht, nun vielleicht schweigend, weiter auf seiner Wanderschaft durch die Tulpenbaumallee (Liriodendron tulipifera) vorbei an der ehemaligen Amorslaube zum zweiten Rastplatz. Er steht an einer Quelle und vor dem Tempel der Hygeia, der griechischen Göttin der Reinheit und Gesundheit. Hier ist ihm angeraten, das Herz von weltlichen Geschäften zu reinigen, bevor die Wanderung fortgesetzt werden soll. Wollte man sich nun noch "Zeit für Muse" nehmen, stand dafür versteckt hinter dem Reinigungstempel die stille Kammer einer "Erimitage" (Einsiedlerhaus) zur Verfügung.

Tempel der Hygeia QuelleHygeia-Tempel

Im Stil solch eines mystisch-romantischen Ideenkonzeptes jener sentimentalen Kulturperiode geht der Besucher nun im Garten von Station zu Station symbolischer Anlagen mit dem Ziel einer inneren Wandlung durch Meditation und Kontemplation. Dabei kommt es sicher nicht darauf an, sofort mit einem Male alle Rätsel dieser Raststationen zu entschlüsseln. Dies ist späteren Besuchen vorbehalten und der sich wandelnden Zeit und deren Eingebungen. Das “Lob einer schönen Seele” ist das Parkkonzept und wohl auch die kürzeste Definition des Kunstbergriffes der Empfindsamkeit.

Ritterburg. Im Inneren befinde...
Statue der Vestalin vor der Py...
Wilhelms-Ruh. Künstliche Ruine...
Die Schlinge.
Altes Rittergrab
Wilhelms-Ruh Kupferstich von 1...

Da das Symbolprogramm in Machern damals wie heute vieldeutig und zeitlos ist (zum Teil den Freimaurern und Rosenkreuzern entlehnt), gibt es Gründe genug, dass sich auch der heutige Besucher darauf einlassen sollte und so den Landschaftspark mit seinen eigenen Gedankenbildern vervollständigt. Viele dieser symbolischen Gestaltungen sind universell und intuitiv zu erfassen. Ruinen, welche typische Motive jener alten Landschaftsgärten sind (Bild oben), sollen an die Vergänglichkeit erinnern. Dagegen stellt die Pyramide das ewige, unzerstörbare Prinzip dar, welches auch den Geist im Menschen meint. Die sogenannte "Schlinge" in der Parkanlage (Bild oben) bei welcher ursprünglich auch eine Armorplastik stand, wird in der Einleitung des Büchleins "Die Spazierfahrt nach Machern", Leipzig 1898 wiefolgt beschrieben. Sie soll anzeigen dass im Lande "der Liebe der unbesorgte Wanderer leicht in eine Schlinge fallen kann, woraus entweder gar keine oder doch mit der größten Gefahr verknüpfte Befreiung ist." Soll heißen, dass die Liebe, wenn ihr ohne Weisheit freier Lauf gewährt wird, den sorglosen Wanderer duch das Leben nicht selten zum Fallstrick werden kann. Wiederum ein Vanitas-Symbol ist das Rittergrab (Bild oben), welches früher in der Nähe sogar noch einen "Kampfplatz" aufwies. Der Gedenkstein trägt nach der Parkbeschreibung von 1898 [2] die "Mönchsinschrift":

uf St. Ulrichs Tag
im Kampf
gefallen
der edle Ritter
hans von Knoringen.
Gott gnade de armen Seel
Annod Domini 1429.

Einen Ritter Hans von Knoringen, der am 4. Juli 1429 im Kampf gefallen sein soll, hat es wohl nie gegeben. Doch mag der St. Ulrich-Tag einen Hinweis auf das Parkmotiv geben, da der heilige Ulrich, der von 923 bis 973 Bischof von Augsburg war, durch die von ihm befehligte Verteidigung der Stadt Augsburg während der Ungarneinfälle enorme Verdienste erwarb und ihn dadurch wohl zum ersten Mönchsritter machte. In diesem Sinne können wir diesen Platz im Park interpretieren und in ähnlichen Allegorien denkend, wenn wir den Geländerundgang in Machern planen. Anderenfalls schlendert man durch den Park, anfangs interessiert, doch um am Ende auch wieder erleichtert zu sein, den Rundwanderweg hinter sich zu haben. Und man wird nach neuen Sehenswürdigkeiten suchen, ohne die vorherige wirklich gefunden zu haben.

Eine ruhige Wanderung durch den gesamten Park um den See herum dauert etwa 2 Stunden. Standort für das Navigationsgerät: 04827 Machern, Schloßplatz 9 (Adresse der Gemeindeverwaltung neben dem Schloss)


Literatur:

  • [1] Thomas Topfstedt - Machern Landschaftspark, Leipzig 1979
  • [2] Die Spazierfahrt nach Machern, 1898 http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/15149/5/0/