Selbstversorgergarten, 1894Wohnhaus und Selbstversorgergarten, 1894. (unten nochmals abgebildet)
Wohnhaus und Selbstversorgergarten, 1894. (unten nochmals abgebildet)

Die Themen "Selbstversorgung durch den eigenen Obst- und Gemüsegarten" sowie "rentable Kleintierhaltung" beschäftigen mich schon seit einiger Zeit. Diese Form der Selbstversorgung ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll. Für den Einen sind eigenes Obst und Gemüse ein Zusatzeinkommen, ein Anderer legt Wert auf den Bioanbau. Man kann diese Selbstversorgung aber auch als ein Stück Autarkie und Unabhängigkeit vom Wirtschafts-, Geld- und Steuersystem sehen oder als Krisenvorsorge. Grundlage für all diese Planungen ist die Einschätzung der richtigen Flächengröße eines Selbstversorgergartens. Und ebenso wichtig ist der einzuschätzende Arbeitsaufwand für die Unterhaltung und Bewirtschaftung.

Allerdings müssen wir bei Kalkulationen zum Flächenbedarf einrechnen, dass wir heutzutage viel weniger Arbeitskraft für die Bewirtschaftung zur Verfügung haben, als vor 100 oder 150 Jahren. Diesbezüglich stelle ich hierzu ein Beispiel vor. Wir also gehalten es nicht kritiklos zu kopieren. Trotzdem sollten wir uns damit beschäftigen, weil vielen Selbstversorgern solche alten Musterlehrstücke als Idealbild immer noch im Kopf herumschwirren. Den vorliegenden Plan von 1894 können wir aber auch ein wenig relativieren. Zwar haben wir hier eine Grundstücksfläche von gut 2400 Quadratmetern vor uns, die fast komplett als Nutzgarten angelegt ist, doch ein wenig mehr als die Hälfte der Anbaufläche ist mit einer geräumigen Obstbaumwiese, mit Zwergobst und mit Beerenobststräuchern belegt. Von den nicht ganz 1800 Quadratmetern Nutzland sind das also reichlich 1000 Quadratmeter. Somit bleiben für Gemüse und Dauergemüse noch vier Quartiere von jeweils 130 Quadratmeter Größe, also 520 Quadratmeter reiner Gemüsegarten (Nettoanbaufläche). Heutzutage wird dem Selbstversorger geraten für das Gemüse 200 Quadratmeter zu veranschlagen. Zwei Personen schaffen diese 200 Quadratmeter in einem 400 Quadratmeter fassenden Hausgarten zu bewirtschaften – mehr nicht. Damals gab es in der Familie für den Garten viel mehr freie Arbeitskraft und nicht selten auch Hausangestellte, die mithalfen [1].
Was ich hier an diesem Beispiel (siehe Skizze unten) von 1894 dennoch als positiv herausstellen möchte, ist die klare Struktur des Nutz- bzw. Küchengartens. Ich selber bin etliche Jahre lang den Irrweg über ein romantisches Gemüse-Durcheinander (inklusive Mischkultur) gegangen und habe am Ende wieder hin zu einem geordneten Beetaufbau gefunden. Je strukturierter die Anlage ist, um so einfacher ist die jährliche Anbauplanung (besonders wenn Insektenschutznetze Verwendung finden), um so effizienter ist jegliche Pflegearbeit und vor allem auch die Ernte. Da es sich hier um einen Küchengarten handelt, so muss man für die Essensbereitung oft in wenigen Minuten nötige Kräuter und Gemüse ins Haus holen. Aus eigener Erfahrung ist das in einem unstrukturierten Permakultur-Garten unmöglich.
Ein zweiter positiver Aspekt in dem alten Musterplan ist die absolut ökonomische Ausnutzung jedes Quadratmeters auf dem Hausgrundstück, natürlich ohne auf eine Laube, Rasenfläche und Blumenbeete verzichten zu müssen. Für diese Zwecke nützte man (damals üblich) die Fassade des Hauses aus, um daran Spalierobst zu ziehen. Hier in diesem idealisierten Falle bei optimaler Ausrichtung des Baukörpers in NO-SW-Ausrichtung, sind das: Wein und Pfirsiche im Südenwesten, Aprikosen im Südosten, Schattenmorellen im Nordosten, und im Nordwesten zeitige Sommeräpfel.
Um noch einmal den Vergleich zu heute zu ziehen, so wurde damals verhältnismäßig viel Obst angebaut. Theoretisch ist die Pflege der Obstgehölze (z.B. auf der Obstwiese) von der Arbeitszeit nicht besonders hoch, hingegen aber das Ernten und die Verarbeitung der Ernten. Das wiederum veranlasst uns in der heutigen Zeit vergleichsweise weniger Obst anzubauen, zumal es ernährungsphysiologisch gegenwärtig nicht mehr den Wert hat, wie damals. Doch werfen wir nun noch einen Blick auf die Skizze, wobei nochmals festzustellen ist, dass es sich dabei um einen mehr ländlichen Hausgarten handelt. Solche Vollversorgungsgärten dürfen nicht mit den Kleingärten (150 – 400 m²) der Stadtbewohner verwechselt werden, die es damals auch schon gab. Der Mustergarten in dem Büchlein "Obst- und Gemüsebau" von Otto Nattermüller [2] beschrieben.

Der Aufbau des Küchengarten (zur Vollversorgung)

Dieses Musterwohngrundstück aus dem Jahre 1894 besitzt ca. 2400 Quadratmeter Gesamtfläche. Es ernährte etwa acht bis zehn Personen und wurde von den Familienmitgliedern bzw. Hausangestellten unterhalten. Im Ganzen ist es in der damaligen Zeit ein übliches Wohngrundstück, einer nicht gerade ärmlich lebenden Familie im ländlichen Raum, in der Kleinstadt oder im Außenbezirk einer Großstadt.
Die hier aufgezeigte Gartengröße, abgesehen von der Obstbaumwiese, deckt sich auch mit der Mustergartengröße der Zeit nach dem ersten Weltkrieg (1924) — [hier auch ein Muster-Gemüse-Anbauplan] [3]. Die entbehrungsreichen Jahre des Krieges und die Hyperinflation von 1922, war eine Bewährungsprobe für den Selbstversorgergarten, der nun offensichtlich in der überkommenen Größe weitergeführt wurde, obwohl ab den 1920er Jahren (Goldene 20er) die Lebensmittelversorgung über den Handel üblicher wurde und nach und nach der Nutzgarten den Handel nur noch ergänzte. Vor 1900 ergänzte der Handel eher nur den Ertrag aus dem Nutzgarten.

Selbstversorgergarten von 1894Nattermüller, Otto: Obst- und Gemüseabu, Berlin 1894.

Hinweise zur Skizze:

– Links in dem eingezeichneten 10 Quadratmeter – Raster stehen Hoch- und Halbhochstämme (A) Apfel, (B) Birne, (Zw) Zwetsche/Pflaume, (S) Schattenmorelle. Die Streuobstwiese ist so angelegt, dass in 30 oder 40 Jahren die dann bereits abgängigen Zwetschen und Schattenmorellen (Sauerkirschen) den Platz für die sich weit entfaltenden Apfel- und Birnbäume frei machen. Bei letzteren handelte es sich meist um Wintersorten. In der Regel wurde das Gras unter den Hochstammbäumen für die Kleintierhaltung genutzt und auf der Obstwiese befanden sich einige Bienenstöcke.
– Die vier Quartiere (A, B, C und D) in der Mitte der Zeichnung, nahe am Haus, sind dem Gemüseanbau vorbehalten, wobei auf dem Quartier die Dauergemüse stehen; im Quartier A befinden sich die Gemüse, welche mit Stallmist gedüngt werden (Starkzehrer, erste Tracht); im Quartier B diejenigen, welche mit Komposterde gedüngt werden (zweite Tracht) und im Quartier C die Gemüse, welche nicht gedüngt werden (Schwachzeherer, Sticksoffsammler/Hülsenfrüchte, dritte Tracht). Mit dieser Methode wurde früher der wertvolle Naturdünger optimal ausgenutzt, wobei jährlich die Flächen gewechselt werden. Es ist quasi eine Dreifederwirtschaft.
– Auf der rechten Seite der Skizze befindet sich das Wohnhaus mit dem Spalierobst und der Ziergarten.

Noch ein Hinweis (Werbung) in eigener Sache. Weitergehende Informationen zum Thema dieser Seite findest du explizit – und für wenig Geld – in dem von mir verfassten "Immerwährenden Gartenkalender Band Nr. 1 – Selbstversorgergärten". Siehe auch Werbehinweise unten. [TJ.10.8] Zählpixel I


Literatur & Quellen:

[1] Die Berechnung der nötigen Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung spielte im 19. Jahrhundert tatsächlich kaum keine Rolle: "Die Größe des Küchengartens ist nach dem Verbrauchsquantum des Gemüses und der Ergiebigkeit des Bodens zu ermitteln und fällt daher selbst bei gleich starkem Consum in verschiedenen Fällen oft verschieden aus." Quelle: Meyer, Gustav; Lehrbuch der schönen Gartenkunst; Berlin 1860. Heute wird rein mit der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft kalkuliert! Als Richtwert für den Arbeitsbedarf gilt heutzutage, dass ein ungeübter Gartenfreund nicht mehr als 100 m² Gemüseland bewirtschaften sollte, um nicht die Lust zu verlieren. Ein geübter Kleingärtner schafft 200 bis 300 m² Gemüseland zu bewirtschaften und parallel dazu einen Obstgarten in ähnlicher Größe, wenn er ca. 2 Stunden pro Tag aufwendet. Wer also plant, sich mit einem Selbstversorgergarten (vor allem bei überwiegend vegetarischer Ernährung) voll zu ernähren, sollte wissen, dass er pro Person ca. 250 m² Bruttogartenland einplanen muss.

[2] Nattermüller, Otto; Obst- und Gemüsebau: Berlin 1894; Seite 9

[3] Bier, Alfred; Lohnende Gemüsezucht; um 1924.