Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte... Das wohl bekannteste Frühlingsgedicht mit dem eigentlichen Titel "Er ist's" stammt von dem deutschen Lyriker Eduard Friedrich Mörike, dem Pfarrer und "Biedermeierdichter". Er schrieb es im Jahre 1829. Die Biedermeierzeit bezeichnet in Deutschland die kurze Epoche nach den Napoleonkriegen bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution von 1848 und ist, was die Kunstgeschichte betrifft, auch von der Kultur des Bürgertums geprägt.
Bekannter als die Dichtkunst ist wohl eher die Malerei und da die Bilder von Carl Spitzweg und Ludwig Richter. Wenn die Kunst des Biedermeier auch gern als „hausbacken“ und „konservativ“ bezeichnet wird, dann erfreuen wir uns jetzt halt an den schönsten "hausbackenen" Versen zum Thema Frühling, die im deutschsprachigen Raum immerhin zu den bekanntesten überhaupt zählen.
Das Gedicht beschreibt die Ankunft des Frühlings auf eine sehr poetische und gefühlvolle Weise. Mörike nutzt eine Reihe von Naturelementen und sinnlichen Eindrücken, um das Erwachen der Natur zu schildern. Mörike verwendet dabei eine einfache, aber kraftvolle Bildsprache, die das Gefühl des Auflebens und der Hoffnung vermittelt, das der Frühling bringt. Es ist ein Ausdruck der romantischen Sehnsucht nach Natur und dem zyklischen Wiederaufleben der Lebenskräfte.
∼ Er ist's ∼
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
Eduard Mörike (1804 – 1875)
Gedichtinterpretation
Das Duftveilchen Viola odorata wird auch das "Dichterveilchen" genannt und stammt eigentlich aus dem Mittelmeerraum. Dichter der Romantik, und dazu zählen auch bekannte Persönlichkeiten wie Goethe, machten diese unscheinbare Blume zu ihrem Liebling und sich selbst zur Aufgabe, deren Samen möglichst an vielen Orten auszusäen. Und so findet sich dieses Blümchen mittlerweile verwildert sehr häufig zum Beispiel in der Umgebung von Weimar. Das dunkelblau oder violett blühende Veilchen, von dem es auch weiße Varianten gibt, hat die Eigenschaft, an warmen, sonnigen Frühlingstagen einen starken Duft zu verströmen, sodass dieser oft eher wahrgenommen wird, als die winzigen Blüten optisch in Erscheinung treten.
Doch bereits der Vorfrühling, also die Zeit weit vor der Veilchenblüte, hat schon starke Aromen. Ein intensiver Duft kommt beispielsweise von der Zaubernuss bereits im Februar, manchmal auch schon im Januar, in unsere Nase. Mit ihm können sonnige, schon ein wenig warme Mittagsstunden einen Vorgeschmack auf den Frühling geben und die Sehnsucht danach wecken. Kommen dann noch einmal kalte und trübe Spätwintertage, die scheinbar nicht enden wollen, sollten wir uns mit einem Blick auf die gelben Blüten der Zaubernuss, die sogar unter einer dicken Schneedecken hervorleuchten können, daran erinnern.
In kalten und vor allem in nasskalten Wintern ist das Warten auf den Frühling ein nicht enden wollendes Sehnen. Vor wenigen Jahren legten die Meteorologen den Frühlingsbeginn auf den 1. März. Bis dahin war dieser Termin von den Astronomen definiert der 21. März. Doch nicht unser Verstand legt solche Zeiten fest und auch nicht der Wunsch, das Jahr in gleichmäßige Abschnitte zu unterteilen. Erst wenn das Gefühl sagt "Jetzt ist Frühling!", dann ist es wirklich soweit. Und dabei spielen eben auch diese Harfentönen gleichenden Gerüche eine besondere Rolle. Neurowissenschaftler meinen ohnehin, dass Gerüche, ohne die Filterung des Verstandes, unser Erleben und Fühlen beeinflussen können. Dasselbe sagt uns der Dichter auf die lyrische Art und Weise. Wobei wir mit der Lyrik, die von dem altgriechischen Wort für das Zupfinstrument Lyra abgeleitet ist, wieder bei der Harfe wären: "Horch, von fern ein leiser Harfenton!"
Bleibt noch das "blaue Band" für unsere Interpretation. Was symbolisiert das blaue Band? Es ist der Himmel und die milde Luft. So scheint für Mörike die Frühlingszeit mehr aus Luft und milden würzigen Winden zu bestehen als aus ersten Blumen und Blüten.
Noch ein Nachtrag zur Biedermeierzeit
Begrifflichkeiten, wie die "Zeit des Biedermeier" werden heutzutage nicht selten etwas ungeschickt gehandhabt. In der Regel stellt man sich dabei eine Zeitepoche der Spießbürger vor, das heißt spießig und, wie oben bereits gesagt, auch eher hausbacken, konservativ halt. Wobei konservativ im negativen Sinne gemeint ist. Dabei wird immer mehr vernachlässigt, dass wir tief in uns drin konservativ veranlagt sind. Denn nichts anderes ist es doch, wenn wir uns nach Geborgenheit und Wohlbefinden sehnen und das nicht selten mit einem ruhigen und gemütlichen Umfeld verbinden.
Was jedoch niemand so recht im Blick hat, und doch recht verwunderlich ist, das ist die Tatsache, dass wohl je nach Bedarf mal dieses und mal jenes Bild der Biedermeierzeit gezeichnet wird. Denn ganz andere Töne werden angeschlagen, wenn von Goethe (1749–1832) die Rede ist. Eine geraume Zeit seiner dichterischen Schaffensperiode, der "Goethezeit", die wiederum zum "deutschen Bildungszeitalter" zuzurechnen ist, reicht genau in diese "spießige" Biedermeier-Epoche hinein. Oder war sie doch nicht so spießig?
Wie man sich damals gab und fühlte, ist recht unterhaltsam in C.A.H. Burkhardts Veröffentlichung "Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller" (Stuttgart 1870) nachzulesen und nachzuvollziehen. Man lebte damals, ob als Bauer, Bürger, Edelmann oder Künstler eigentlich ganz normal und nicht viel anders als heute, jedenfalls was die Mentalität betrifft. Allerdings haben die riesigen Dimensionen der napoleonischen Feldschlachten (Leipzig) mit ihren traumatisierenden Erlebnissen häufig tiefe Spuren hinterlassen. Besonders bei den Spitzweg-Bildern fällt auf, und das wird heutzutage oft aus dem geschichtlichen Zusammenhang gerissen, dass man in jener Zeit das Großartige, Monumentale ablehnte und das Glück nun mehr in den unauffälligen, kleinen und nebensächlich scheinenden Dingen des Lebens suchte und bewunderte. Das kommt auch in dem kurzen Frühlingsgedicht gut zum Ausdruck.
Obwohl Eduard Mörike nicht gerade für die Kürze seiner Gedichte bekannt ist, finden wir aus seiner Feder übrigens noch ein zweites, sehr schönes Jahreszeitengedicht, welches nur sechs Verszeilen umfasst. Es ist das Gedicht "Septembermorgen", das mit den wohl gleichsam geflügelten Worten beginnt: Im Nebel ruhet noch die Welt...
Quellen, Hinweise
Colshorn, Theodor; Des Mägdleins Dichterwald; Hannover (Karl Rümler) 1875, Seite 161
Haller, R.; Goethe und die Welt des Biedermeiers; Bonn 1936
G.J. [Z.P.26.10.22.GJ.0002]