Viel zu wenig kenne ich die Bäume, die vor meinem Fenster stehn... Ein melancholisches Gedicht der Dichterin Ina Seidel, welches uns zeigt, wie schnell wir die Schönheit und Wunder der Natur um uns herum vergessen. Vielleicht regt es den einen oder anderen an, sich in unserer heutigen, schnellen Zeit ein wenig zu besinnen und zu träumen.
∼ Das Versäumnis ∼
Viel zu wenig kenne ich die Bäume,
Die vor meinem Fenster stehn und rauschen,
Viel zu selten baun sich meine Träume
Nester, um die Winde zu belauschen,
Und des Himmels Silberwolkenspiele
Gehn vorüber, ohne mich zu trösten -
Ganz vergessen habe ich so viele
Wunder, die mir einst das Herz erlösten
© Ina Seidel
Interpretation
Ina Seidels Gedicht „Das Versäumnis“ thematisiert die Melancholie des Verpassten – die leisen Wunder des Alltags, die im Strudel des Lebens unbeachtet bleiben. Die Natur, die einst Trost und Inspiration spendete, wird nur noch flüchtig wahrgenommen. Die Bäume vor dem Fenster, die Winde, die Wolken – sie sind da, doch ihre Bedeutung ist verblasst.
Doch gerade in dieser Erkenntnis liegt auch eine Chance: Die Verse sprechen nicht von einem endgültigen Verlust, sondern von einer vergessenen, aber nicht unerreichbaren Welt. Denn was einst Trost und Erfüllung brachte, kann jederzeit wiederentdeckt werden. Die Wunder der Natur sind nicht verschwunden – sie warten nur darauf, erneut mit offenen Sinnen wahrgenommen zu werden.
Das Gedicht lädt dazu ein, innezuhalten, sich dem Leben bewusster zuzuwenden und Versäumtes nachzuholen. Es erinnert daran, dass es nie zu spät ist, die Augen für die Schönheit der Welt zu öffnen und sich erneut verzaubern zu lassen.
Viel zu wenig kenne ich die Bäume, die vor meinem Fenster stehn..
Ina Seidels Gedicht „Das Versäumnis“ schildert aber auch auf eindringliche Weise die leisen Verluste, die sich im Alltag unbemerkt einschleichen. Es geht nicht um große, dramatische Verfehlungen, sondern um das Unbeachtete im Nahen – die Schönheit der Natur vor dem eigenen Fenster, die leise Sprache des Windes, die verspielten Wolkenbilder am Himmel. Diese Verse sprechen von einer Entfremdung, die sich allmählich einstellt, wenn wir die kleinen Wunder, die uns einst berührten, nicht mehr wahrnehmen.
Doch das Gedicht kann noch weiter gefasst werden: Die Bäume vor dem Fenster stehen sinnbildlich für alles, was uns nahe ist – nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld. Wie oft nehmen wir diejenigen, die uns begleiten, nur flüchtig wahr? Wie oft hören wir nicht genau hin, übersehen kleine Gesten oder lassen wertvolle Momente ungenutzt verstreichen?
Achte auf neue Gelegenheiten, aber erzwinge sie nicht.
Die Verse erinnern uns daran, dass das Wesentliche oft direkt vor uns liegt – in vertrauten Landschaften, in den Stimmen der Menschen, mit denen wir unser Leben teilen. Und doch besteht Hoffnung: Ein Versäumnis ist kein endgültiger Verlust. Die Bäume stehen noch immer da, die Winde flüstern weiter, die Menschen um uns warten darauf, dass wir ihnen wieder mit offenem Herzen begegnen.
Das Gedicht mahnt uns, innezuhalten und den Blick zu schärfen – für die Wunder des Alltags, für die Schönheit des Gewöhnlichen und für die Nähe, die wir oft zu selbstverständlich nehmen. Denn es ist nie zu spät, sich dem Leben wieder zuzuwenden, Versäumtes nachzuholen und das Verlorengeglaubte neu zu entdecken.
Interpretiert von: G. J.