Bereifter FarnDie Welt im Winterschlaf.
Die Welt im Winterschlaf.

Schon ins Land der Pyramiden flohn die Störche übers Meer ... ein Gedicht Theodor Storms über die stetig kühler werdenden Herbsttage. Bei Storms "Herbst" handelt es sich – will man korrekt sein – um einen Zyklus, denn es umfasst drei Einzelgedichte.

∼ Herbst ∼

1

Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Und die Sonne scheint nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stilles Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag:
Hinter allem Winterleide
Liegt ein ferner Frühlingstag.

2

Die Sense rauscht, die Ähre fällt,
Die Tiere räumen scheu das Feld,
Der Mensch begehrt die ganze Welt.

3

Und sind die Blumen abgeblüht,
So brecht der Äpfel goldne Bälle;
Hin ist die Zeit der Schwärmerei,
So schätzt nun endlich das Reelle!

Theodor Storm (1848)