Im Blumennamen Narcissus steckt das griechische Wort narkao, was übersetzt so viel wie "ich betäube" heißt. Es mag sein, vielleicht hielt man den Duft für betäubend. Doch kann sich das narkao auch auf die Giftigkeit der Blätter beziehen. So verwendeten die alten Ägypter die Blüten für Trauergebinde zu Ehren ihrer Toten. Homer kommt in seinem Hymnus an Demeter auf die Narzissen zu sprechen und nennt ihre Glockenblüten "einen feierlichen Anblick für die Unsterblichen wie für sterbliche Menschen".
Einen Kranz weißer Narzissen trug Persephone im Haar, als Pluto, der Herrscher über die Unterwelt, sie in einer blumigen Aue schlafend fand und mit sich hinab in sein dunkles Reich riss... die Blüten verloren dabei ihre jungfräuliche Farbe und wurden gelb. So soll der Mythos die überwiegend gelbe Farbe dieser Frühblüher erklären. Moderne Züchtungen haben das Farbspektrum inzwischen wieder erweitert.
Narziss und Echo
Eine weitere Mythengestalt ist jener überaus schöne Jüngling Narziss (Narkissos), der aber nicht der Namensgeber besagter Zwiebelgewächse sein soll. Die Namensherkunft ist also nicht klar. Aber nun zum Mythos. Eine Bergnymphe Namens Echo war leidenschaftlich in ihn verliebt. Sie hatte jedoch einen "Sprachfehler", denn sie konnte immer nur die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen. Hier folgt das berühmte Wechselgespräch zwischen Narziss und Echo, wie es uns Ovid in seinen Metamorphosen überlieferte:
Narziss befand sich im Wald und hatte seine Gefährten verloren und rief nach ihnen:
"Ist jemand hier?" – "Hier!" antwortet Echo. Er stutzt, lässt seinen Blick in die Runde schweifen und ruft mit lauter Stimme: "Komm her!" Sie ruft den Rufenden wieder. Er sieht sich um, und als auch jetzt niemand auftaucht, fragt er: „Was fliehst du vor mir?" Und ebenso viele Worte, wie er gerufen hat, vernimmt er. Er gibt nicht auf und getäuscht durch den Schein einer Antwort, sagt er: „Hier vereinen wir uns!" Gern folgt sie den eigenen Worten, verlässt den Wald und nähert sich schon, dass sie um den Nacken die Arme, um den ersehnten, ihm schlinge. [Der in sich selbst verliebte] aber flieht, und im Fliehen ruft er: „Lass von der Umarmung! Eher sterbe ich, als dass ich dir verfiele!" Jene gibt nichts zurück als: „Daß ich dir verfiele!"
Verschmäht verbirgt sie sich in den Wäldern, deckt ihr Antlitz voll Scham mit dem dichtesten Laub und lebt seitdem in einsamen Höhlen... [dort magert sie vor Liebeskummer ab bis zum Skelett] alle Säfte des Körpers verschwinden fort in die Lüfte. Bald sind Stimme nur und Gebein übrig. Die Stimme bleibt. Das Gebein soll die Gestalt eines Steins angenommen haben. Seitdem hält sie sich im Walde verborgen, man sieht sie auf keinem Berg, doch es hören sie alle. Der Ton ist's, was von ihr noch lebt. Narziss erkennt alsbald auch die Unerfüllbarkeit seiner Liebe, da er sich seinem Wesen nach nur selber liebt. Er verzehrt sich ebenfalls (in seinem Fall aber nach seinem Ebenbild) und verschmachtet bis zum Tod. Er verstirbt, doch statt seines Leichnams findet man eine Narzisse.
Das ist also der klassische Mythos in Kurzform. Unten finden wir diesen noch einmal ausführlich. In Hermann Hesses "Narziß und Goldmund" lebt diese sagenhafte Gestalt erneut auf, wie sie schon früher viele Dichter und Kunstmaler als Motiv gelockt hat.
Noch einmal kurz zur mythologischen Namensherkunft: Die oberflächliche Interpretation ist sicher falsch, dass die Narzisse für den mythischen Jüngling steht, der nur in sich selber selber verliebt ist – bzw. selbstredend in sein eigenes Spiegelbild verliebt ist. Die Erzählung gibt hingegen eine Erklärung des Ich-Gefühls im Menschen wieder. Diese Widerspieglung des Selbstbewusstsein im Menschen könnte nicht besser, als mit einer Selbstspiegelung erklärt werden kann. In diese Richtung sollten die Tiefendpsychologen ihre Forschungen anstellen. Mit dem alltagspsychologischen Begriff des "Narzissmus" hat weder der Protagonist, noch die Narzisse etwas zu tun.
Der komplette Mythos über Narziss
Der spröde Narziss
Hochberühmt in den Städten Böotiens gab jener dem bittenden Volke unwiderlegbar Bescheid. Den ersten Beweis seiner Glaubwürdigkeit und Sehergabe erhielt Liriope, eine Nymphe der blauen Gewässer. Kephisos hatte sie einst in einer Windung seines Stroms gefangen und ihr, die die Wellen umschlossen, dann Gewalt angetan. Schwanger von ihm gebar die wunderschöne Nymphe einen Knaben - man musste ihn damals schon lieben - und nannte ihn Narziss. Gefragt, ob diesem lange Lebenszeit und hohes Alter bestimmt sei, sprach der schicksalskundige Seher: „Wenn er sich selbst nicht kennt." Lange hielt man des Wahrsagers Worte für nichtig, doch was am Ende wirklich geschah, die Art, wie Narziss dann starb und seine unerhörte Leidenschaft, erwies ihre Wahrheit. Denn zu dreimal fünf Jahren hatte der Sohn des Kephisos noch eines zugelegt und konnte ebenso gut als Knabe als auch schon als Jüngling erscheinen. Viele Jünglinge begehrten ihn, auch viele Mädchen, doch bei seiner zarten Schönheit besaß er einen spröden Stolz: Ihn hat kein Jüngling gerührt und keines der Mädchen.
Nur eine Stimme – Echo
Ihn sieht, wie er scheue Hirsche ins Garn treibt, die plaudernde Nymphe, die weder schweigen kann, wenn man spricht, noch selbst gelernt hat, als erste zu sprechen, die widerhallende Echo. Noch war Echo aus Fleisch und Blut, nicht nur Klang, doch bediente sie sich geschwätzig der Stimme nicht anders als heute: Von vielen konnte sie nur die letzten Worte wiederholen. Das war Junos Werk, denn, wenn sie die Nymphen hätte ertappen können, die oft im Gebirge bei ihrem Jupiter lagen, hielt jene schlau die Göttin mit langem Geschwätz auf, bis die Nymphen entwischten. Als Juno das merkte, sprach sie: „Über diese Zunge, die mich zum besten hielt, soll wenig Macht dir bleiben; ganz kurz nur wirst du die Stimme gebrauchen!" Sie bestätigte die Drohung durch die Tat; seitdem wiederholt Echo nur das Ende der Rede und spricht nur nach, was sie gehört hat.
Als diese nun den Narziss entlegene Fluren durchstreifen sah und für ihn erglühte, folgte sie verstohlen seinen Schritten, und je mehr sie ihm folgt, um so mehr entflammt sie die Nähe des Liebsten, nicht anders, als wenn, ans Ende der Fackeln gestrichen, rasch entflammbarer Schwefel Feuer fängt, wenn es ihm nahe kommt. O wie oft wollte sie ihn mit süßen Worten anreden und ihn durch zärtliche Bitten rühren! Ihr Wesen verwehrt es und erlaubt ihr nicht, zu beginnen. Doch, was es erlaubt, dazu ist sie bereit, auf Laute zu warten, um dann zu erwidern.
Von ungefähr hatte der Jüngling die treue Schar seiner Gefährten aus den Augen verloren und schrie: „Ist jemand hier?" „Hier!" antwortete Echo. Er stutzt, lässt seinen Blick in die Runde schweifen und ruft mit lauter Stimme „Komm her!" Sie ruft dem Rufenden wieder. Er sieht sich um,.und als auch jetzt niemand auftaucht, fragt er: „Was fliehst du vor mir?" Und ebenso viele Worte, wie er vernommen hat, vernimmt er. Er gibt nicht nach und getäuscht durch den Schein einer Antwort, sagt er: „Hier vereinen wir uns!" Gern folgt sie den eigenen Worten, verlässt den Wald und nähert sich schon, dass sie um den Nacken die Arme, um den ersehnten, ihm schlinge. Narziss aber flieht, und im Fliehen ruft er: „Lass von der Umarmung! Eher sterbe ich, als dass ich dir verfiele!" Jene gab nichts zurück als: „Dass ich dir verfiele!"
Verschmäht verbirgt sie sich in den Wäldern, deckt ihr Antlitz voll Scham mit dem dichtesten Laub und lebt seitdem in einsamen Höhlen. Doch die Liebe lässt sie nicht los und wächst noch, schmerzt auch die Missachtung. Sorgen rauben der Armen den Schlaf und zehren den Leib aus, vor Magerkeit schrumpft ihre Haut ein, alle Säfte des Körpers verschwinden fort in die Lüfte. Bald sind Stimme nur und Gebein übrig. Die Stimme bleibt. Das Gebein soll die Gestalt eines Steins angenommen haben. Seitdem hält sie sich im Walde verborgen, man sieht sie auf keinem Berg, doch es hören sie alle. Der Ton ist´s, was von ihr noch lebt.
Verliebt in sich selbst – Das Ende des Narziss
So hatte Narziss nun diese, so andere Nymphe der Flut und der Berge enttäuscht, so vorher Scharen von Liebhabern. Einer von diesen erhob, verschmäht, die Hände zum Himmel und flehte: „So soll er selbst auch lieben, so nicht den Geliebten gewinnen!" Er sprach es, und die Göttin der Rache erhörte die berechtigte Bitte:
Da war eine lautere Quelle, wie Silber glänzte ihr Wasser; zu ihr drangen nicht Hirten noch auf Bergen weidende Ziegen noch anderes Herdenvieh. Kein Vogel, kein Wild hatte sie je getrübt, kein Ast, vom Baume gefallen. Gras wuchs rings um sie, genährt vom nahen Nass, und ein Wald, der sie vor jedem wärmenden Strahl der Sonne beschirmte. Hier sank, vom Jagdeifer und von der Hitze ermattet, der Jüngling nieder, angezogen vom Reiz des Ortes und von der Quelle. Seinen Durst will er löschen, allein ein anderer Durst entbrennt in ihm, denn beim Trinken berückt ihn der Anblick seiner schönen Gestalt; er verliebt sich, doch körperlos ist der Gegenstand seiner Hoffnung; was ihm Körper scheint, ist ja nur Wasser! Er staunt sich selbst an, und mit starrem, unverwandtem Blick ist er wie gebannt, gleich einem Bild aus parischem Marmor. Auf den Boden gestreckt schaut er das Doppelgestirn seiner Augen und sein Haar, eines Bacchus würdig, ja, würdig eines Apollo, die bartlosen Wangen, den Hals wie aus Elfenbein, das holde Gesicht und die Röte, die sich mit schneeigem Weiß mischt. Alles entzückt ihn, wodurch er entzückt. Töricht begehrt er sich selbst, er, der prüft, prüft sich selber, sein Sehnen sehnt sich nach ihm, ihn verzehrt die eigene Flamme. Wie oft verschwendete er an die trügerische Quelle seine Küsse, wie oft tauchte er die Arme mitten in die Flut, um den Hals, den er sah, zu umfassen, und konnte doch sich selbst nicht ergreifen! Was er sieht, weiß er nicht; doch was er sieht, setzt ihn in Flammen. Seine Augen fesselt eben der Wahn, der sie täuscht.
Leichtgläubiger! Was haschst du umsonst nach einem flüchtigen Trugbild? Was du ersehnst, ist nirgends; wende dich ab, und was du liebst ist verschwunden. Das da, was du siehst, ist dein Spiegelbild, ein Schatten ohne eigenes Ich. Er kommt mit dir, bleibt und wird mit dir gehen, wenn du zu gehen vermöchtest. Nicht kann ihn die Sorge um Nahrung, nicht Verlangen nach Schlaf von der Quelle entfernen. Gestreckt auf beschattetem Rasen, schaut er mit unersättlichem Blick das anmutige Blendwerk an und vergeht durch seine eigenen Augen. Endlich richtet er sich ein wenig auf, erhebt die Arme zu den Wäldern ringsum und spricht: „O ihr Wälder! Wer hat wohl je qualvoller geliebt als ich? Ihr wisst ja, und vielen wart ihr willkommene Zuflucht. O sagt mir, da euer Leben so viele Jahrhunderte dauert, entsinnt ihr euch jemands in der langen Zeit, der gleich mir dahinschwand? Es gefällt mir, ich sehe es, doch was mir gefällt, was ich sehe, finde ich doch nicht. Solcher Wahn betört den Verliebten! Und, was mich noch mehr schmerzt, kein unermessliches Meer, kein Weg über Land, keine Berge, keine Mauern mit verschlossenen Toren liegen zwischen uns; uns scheidet nichts als ein geringes Gewässer. Auch er sehnt sich nach meiner Umarmung. Sooft ich im klaren Wasser ihm zum Kuss die Lippen bot, sooft hebt er sich aus der Tiefe zu meinem Munde empor. Man könnte meinen, wir berührten uns, so wenig ist´s, was uns Liebende trennt. Wer du auch seist, komm hervor! Was täuschst du mich innigst Geliebter? Wohin fliehst du vor meiner Sehnsucht? Sicher ist es nicht meine Gestalt, mein Alter, wovor du fliehen müsstest. Auch mich haben schon Nymphen geliebt. Auch verheißt mir dein freundlicher Blick ich weiß nicht welche süße Hoffnung, und streckte ich die Arme gegen dich aus, streckst du sie von selber. Wenn ich lachte, lachst du mir zu, und auch Tränen habe ich oft, wenn ich weinte, bei dir bemerkt. Ja, du erwiderst jeden Wink, jedes Zeichen der Liebe, und, soviel ich aus der Bewegung deines schönen Mundes schließen kann, gibst du mir auch Antwort, die nicht an mein Ohr dringt.
Der da bin ich! Ich hab´es erkannt! Nicht mehr täuscht mich mein Abbild! Ich verbrenne in Liebe zu mir, ich errege, erleide die Flammen: Was soll ich tun? Soll ich mich erflehen lassen, oder soll ich flehen? Was ich wünsche, habe ich selber, ich darbe in Fülle. O könnte ich doch diesen meinen Körper verlassen! Könnte doch - ein unerhörter Wunsch für einen Liebenden - mein Geliebter fern von mir sein! Schon raubt mir der Schmerz die Kräfte, nicht viel Lebenszeit bleibt mir mehr übrig, in der Blüte der Jugend gehe ich zugrunde. Doch ist der Tod mir nicht schwer, mit dem Tode endet mein Leiden. Wäre nur meinem Liebsten noch längeres Dasein beschieden! Nun aber sterben wir beide und hauchen gemeinsam eine Seele aus."
Also sprach er und wandte sich, liebeskrank, demselben Bild wieder zu, seine Tränen ließen das Wasser sich kräuseln, und durch die Bewegung verschwamm die Erscheinung. Als er sie schwinden sah, rief er: „Wo fliehst du hin? O bleib und verlaß, Grausamer, mich Liebenden nicht! Da ich dich nicht berühren darf, sei es mir wenigstens vergönnt, dich zu sehen und daran meine unglückliche Liebe zu weiden!" In seinem Schmerz reißt er am oberen Saum sein Gewand auf und schlägt die entblößte Brust mit Händen, weiß wie Marmor. Zarte Röte verbreitet sich über die Brust, die er schlägt, ebenso wie Äpfel gewöhnlich auf einer Seite hell, rot auf der anderen sich färben, oder wie die halbreife Traube mit ihren schillernden Beeren Purpur überzieht. Sobald er das erblickte im wieder beruhigten Gewässer, trug er nicht länger sein Leid, sondern, so wie gelbes Wachs schmilzt bei leichtem Feuer oder wie Reif am Morgen vor dem wärmenden Sonnenstrahl schwindet, so, vor Liebe angehärmt, vergeht er, allmählich verzehrt ihn verborgene Glut. Dahin ist seine Farbe, gemischt aus Weiß und Rot, dahin Frische und Kraft und all das, dessen Anblick gleich entzückte.
Auch sein Leib blieb nicht der, den Echo einst liebte. Doch als sie ihn erblickte, tat es ihr weh, wiewohl sie noch zürnte, sich noch erinnerte, und sooft der unglückliche Jüngling seufzte: „Weh mir!" wiederholte sie das mit dem Nachhall der Worte: „Weh mir!" Wenn er seine Schultern mit den Händen schlug, ließ Echo dasselbe Klatschen der Schläge nochmals vernehmen. Die letzten Worte des Narziss, der in die vertraute Quelle blickte, waren folgende. „Ach, du hoffnungslos geliebter Knabe!" Jedes Wort kam zurück! Er setzte noch hinzu: „Lebe wohl!" „Lebe wohl!" erwiderte Echo. Dann sank sein müdes Haupt ins grüne Gras, und der Tod schloss die Augen, die noch die Schönheit dessen bestaunten, dem sie gehörten. Selbst dann, als ihn die Unterwelt aufnahm, betrachtete er sich noch im Strome der Styx. Es beklagten ihn seine Schwestern, Najaden, und weihten ihrem Bruder die abgeschnittenen Locken, es beklagten ihn auch die Dryaden, und in die Klage stimmte Echo mit ein. Schon wollten sie den Scheiterhaufen richten, dazu Fackeln aus Kienholz, die Bahre, da war nirgends ein Leichnam. Statt des Leichnams finden sie eine safrangelbe Blume, deren Kelch rings weiße Blütenblätter umgeben.
Literatur & Quellen:
- (Quelle: Gartenblumen von A-Z, Neumannverlag 1972)
- P. OVID II Nasonis METAMORPHOSES, Felix Seb. Feldbausch, Carlsruhe 1844
- https://books.google.de/books?i...navlinks_s