Der Phönix (Phoenix) mag in seiner Symbolik schnell erklärt sein, doch vermutlich ist seine Bedeutung tiefgehender, als die meisten Erklärungen in den gängigen Lexika. In der Antike gab es den Mythos von dem besagten Fabelwesen, welches man sich tatsächlich existent vorstellte. Nach bestimmten Zeitabständen, den sogenannten Phönixperioden, sollte dieser aus Arabien, Indien oder aus der ägyptischen Sonnenstadt Heliopolis kurz nach nach der Frühlingsnachtgleiche geflogen kommen. Er setzt sich im Tempel des Sonnengottes nieder und baut dort ein Nest aus Myrren – richtiger ausgedrückt – und baut dort einen Scheiterhaufen, besteigt diesen und verbrennt, wobei die Sonnenstrahlen das Holz entzündeten. In der Asche bleibt ein Ei zurück, aus dem nach drei Tagen ein neuer Phönix schlüpft, dieser erstarkt und fliegt als junger Phönix nach Ägypten, in die sagenumwobene Sonnenstadt, und das zusammen mit vielen andern Vögeln.
Man dachte ihn sich in der Größe eines Adlers und in der Form eines Kranichs, mit langen Hinterkopffedern, mit goldenem, rotem oder vierfarbigem Gefieder. In der Antike gab es Berichte, nach denen sich der Vogel tatsächlich auch gezeigt haben soll. Das ist zum Beispiel der am 6. April im Jahre 2555 v. Chr. (nach Tacitus[1]); der 8. April des Jahres 1904 v. Chr. (nach Tacitus[2]) und der 15. April des Jahres 50 n. Chr. unter dem römischen Kaiser Claudius. Von letzterem Ereignis berichten Tacitus, Suidas, Plinius und andere antike Geschichtsschreiber. Mit diesen Ereignissen wurden in Rom auch außerordentliche Feste (mira celebrastus) gefeiert, so berichtet der spätantike Chronist Victor.
Eine Merkwürdigkeit ist es, dass die Alten zwischen einem echten und unechten Phönix unterschieden, wobei der unechte nicht die typischen Kopffedern aufwies. Was bei diesen Geschichten nun Mythos oder exotische Vögel waren, die sich in die antiken Städte verirrt haben, soll hier keine weitere Berücksichtigung finden. Einzig die These, dass es sich bei dem Fabelwesen um Graureiher (Ardea cinerea) handelt, welcher bei der jährlichen Nilflut nach Ägypten aufbrach, mag ein Erklärungsmodell sein. Auf jeden Fall wussten schon die antiken Berichterstatter, dass die Spekulationen um diesen Vogel mit der alten ägyptischen Kultur zu tun hatte und tatsächlich scheint es so zu sein, dass der Mythos von dort herstammt und der Phönix eine Verbindung zum Sonnenkult aufweist.
Bedeutung als solares Wesen
Als solares Symbol verkörpert der Phönix geistigen Adel und Einzigartigkeit. Fest steht, dass das sonderbare Fabelwesen ganz offensichtlich zum Kreis der Sonnenmythen zählt. Wie die des Obelisken auch, ist diese Symbolik einzigartig und mit der ägyptischen Sonnenstadt, dem alttestamentlichen On, verknüpft. Beide Bildzeichen wurden beachtlicherweise im antiken Römerreich besonders geschätzt. In der Antike wurde die Phönixgeschichte zudem mit dem Osiris-Mythos in Verbindung gebracht und es ist nicht ausgeschlossen, dass all diese Bilder aus der alten ägyptischen Kultur in den antiken Mysterienkulten thematisiert wurden.
Bedeutung Wiedergeburt
Durch die Aktualität der hier vorgestellten Fabel wurde der Phönix in der Antike zu einem universellen Symbol für Auferstehung und Unsterblichkeit, bzw. für den Tod und die darauf folgende Wiedergeburt. Selbst im Christentum wurde der Mythos auf Jesus und dessen Tod und Auferstehung umgedeutet. Das Fabelwesen ist in dieser Betrachtungsweise auch ein Symbol für Selbstopferung und für den selbst-opfernden Tod und ein Bild für den Triumph über den Tod.
Auf der abgebildeten Renaissance-Malerei (Kassettenmalerei, Marienkriche Danzig) lautet sie Textüberschift im Bild "MIHI VITA CHRISTUS" in Anklang an den Bibelvers: "Christus mihi vita, mors lucrum" = Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn (Phil. 1,21). Das Weiterleben kann aber auch anders aufgefasst werden. Im Sinne der Aneinanderreihung von Generationen ist der Mythos eine Allegorie für das Weiterleben des Vaters im Sohn. Auch die Kunst hat sich bis hin zu Goethe den Feuervogel als Thema gewählt, etwa in dem Gedicht "Selige Sehnsucht". Dort hat Goethe den Vogel zwar nicht explizit erwähnt, doch das Prinzip beschrieben:
Und solang du dies nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.
Lange Zyklen – Phönix aus der Asche
Eingangs wurde erwähnt, dass die häufigste Interpretation der Phönixsymbolik diejenige ist, welche auf den "Phönix aus der Asche" anspielt, also auf Sterben und Wiedererstehen. Dies kann im philosophischen Sinne oder im Sinne des Sprichwortes aber auch den Zusammenbruch eines alten Systems bezeichnen, mit dem aufkommen der alten Werte in einem völlig neuem Gewand. Bei dieser Sinndeutung ist allerdings ein zyklischer Systemzusammenbruch gemeint und in diesem Sinne ähnelt das Bild sehr dem antiken Ouroboros – also ein Zyklus, der sich in seinen Ablaufstadien wiederholt. Allerdings wurde im alten Ägypten der besagte Sonnenvogel (Benu) mit dem spiralenförmigen Aufsteigen des Sirius am Himmel in Verbindung gebracht, was im Unterschied zum Ouroboros (die sich in den Schwanz beißende Schlange) die Wiederkehr im immer höherer Qualität darstellt.
Es scheint so, dass beim Phönix das Symbol die regelmäßige Wiederkehr das Hauptprinzip der Metapher ist. Hinzu kommt jedoch, dass diese Abfolgen längere Zeitperioden darstellen. Nach den Quellen gibt es verschieden Längen dieser Phönixperioden, die 487, 500, 540, 654, 100 oder 1461 Jahre dauern. Dabei stehen die 1461 Tage im Zusammenhang mit dem sogenannten Sothis-Zyklus, welcher auf den Venus-Kalender zurückgeht. Die Erkenntnis dass unabhängig von überschaubaren Zeitzyklen wie Tag und Jahr noch Perioden bestehen, die über weit die Lebenszeit des Menschen hinausgehen, kann das Handeln eines Menschen schon beeinflussen. Das berechnen solcher wiederkehrenden Ereignisse umso mehr.
Moderne Wissenschaftler versuchen dies immer wieder, denken wir nur an die berühmten Kondratjew-Zyklen. Das Erleben von wiederkehrenden periodischen Episoden im Weltenlauf war von alters her zuerst mit Astronomie und Astrologie verbunden. So tut es sicher nicht wunder, dass es zur Thematik eine recht bemerkenswerte Ausarbeitung eines G. Seyffarth aus dem Jahre 1849 gibt [3], welche aufzeigt, dass diese "Phoenixperioden" mit astronomischen Ereignissen zu tun haben. Und zwar soll es sich dabei um das Wissen der alten Ägypter handeln, welche die Bahn des Planeten Merkur beobachteten und berechneten und dabei feststellten, dass der Planet angeblich nur aller 652 Jahre (bzw. 651/496 Jahre) kurz nach der Tagundnachtgleiche (Äquinoktium) im Frühjahr durch die Sonnenscheibe läuft und symbolisch in dieser verbrennt. Real kommen diese Durchläufe aber öfters vor. Zum letzten Male fand ein derartiges astronomisches Ereignis (Merkurtransit) am 9. Mai 2016 statt. Weitere Daten sind der 11. November 2019 und der 13. November 2032. Was die alten Ägypter auch berechnet haben mögen, so geht es hier um die mystische Erfassung dieser Dinge.
Seyffarth verweist auch auf die Verbindung des römischen Gottes Merkur, der seinen ägyptischen Pendant Thot, den menschengestaltigen Gott mit Ibiskopf. Thot wird von Seyffarth auf Grund von ägyptischen Inschriften aber auch mit dem Phönix gleichgesetzt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Thot von Geburt ein Phönizier gewesen sein soll und dass der Name dieses uralten seefahrenden Volkes mit diesem außergewöhnlichen Fabelwesen. Das der Feuervogel auch lunare Aspekte besitzt, wurde Eingangs erwähnt, da sein Tod drei Tage währt, das ist die Zeit des Neumondes. Über den ägyptischen Mondgott Thot, der auf der Hieroglyphe ebenso wie Hermes mit einem Stab (Caduceus) abgebildet ist, hält den Phönix in der linken Hand. Beim Symbol des Hermesstabes finden wir Stab, zwei Schlangen und Flügel zum Bildzeichen vereint, welches für den Ausgleich von Gegensätzlichkeiten steht. So löst aber auch unser Fabelwesen in gewissem Sinne den Widerspruch, also die Dualität von Tod und Leben auf. Nur wird dem Betrachter und Beobachter diese Auflösung der scheinbaren Gegensätze erst nach langen Zeitperioden gewahr.
Ähnlich
Einen Feuervogel kennt man als sibierische Märchenfigur und ihn kennen die Ureinwohner Amerikas und die Chinesen. In China konnte das Fabelwesen und Glückssymbol, der Fenghuang, in männlicher Form (Feng) auftreten und war solar (yin) oder auch in weiblicher Form (Huang) als luneares Symbol (yin).
Adler und Sonne
Der Adler ist ebenfalls ein Vogel, der als Sonnensymbol fungiert. Der Adler ist in diesem Zusammenhang nicht selten im Kampf mit einer Schlange dargestellt, welche die Dunkelheit und das Chaos darstellt. Der Phönix galt in der Antike auch als Adler des Zeus und trägt die Seelen der Verstorbenen in den Himmel im Sinne der Entbindung der Seele von der Schwere der Materie. Die Erlösung der Seele von den Zwängen der Materiewelt ist wichtiger Teil hermetischer (auf Hermes bezugnehmend) sowie der platonischen und neuplatonischen Philosophie. In diesem Ideenkreis hermetischer Lehren, entwickelten sich vielerlei Symbole, welche oftmals recht mystisch erscheinen. Manche Art von Wissen lässt sich aber auch durch rationales Studium nicht erfassen und die Legende vom Phönix aus der Asche wird am Ende nur mit dem Herzen erfasst und begriffen und nicht mit dem Verstand.
Das Sinnbild und die Aufschrift dieses Gedenksteins (Seifersdorfer Park) am Leopold-Denkmal (gewidmet dem Opfertod Leopolds von Braunschweig-Wolfenbüttel) ist ganz im Sinne des zuletzt gesagten. [TJ.9.9] I
- [1] Nach Tacitus, aber vermutlich falsch datiert, zeigte sich der Vogel 2555 v. Chr. am 6. April unter dem Pharao Sesosris. Letzterer lebte aber später.
- [2] Nach Tacitus, zeigte sich der Phönix 1904 v. Chr. am 8. April unter Amos, Pharao der XVIII. Dynastie
- [3] Seyffarth G., Die Phoenixperiode; Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft; Band 3, No. 1 (1849), SeitenSeyffarth G., Die Phoenixperiode; Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft; Band 3, No. 1 (1849), Seiten 63-89; Harrassowitz Verlag, Leipzig 1849
- [4] Merkurtransit: https://de.wikipedia.org/wiki/Merkurtransit_vom_9._Mai_2016
- Literatur über Sfimorgh, den persischen Phönix und der Verbindung des Vogels Phönix mit dem Gogard (heiligen Baum) und den Palmbaum: Allgemeine Literatur-Zeitung,Num. 141. Donnerstags, den 23. May 1811; Num. 142. Freitags, den 24. May 1811; 143. Sonnabebends, den 25. may 1811