Nach dem Mittelalter entstand neben der Bilderwelt der Kirchen in mystisch gesinnten Kreisen gebildeter Adliger und Bürger Europas, eine symbolische Bilderwelt, welche sich aus der mittelalterlichen Alchemie und aus der in der Renaissancezeit wiederentdeckten antiken Philosophie speiste. Auslöser für diese „Wiedergeburt“ (Renaissance) der Antike war zunächst die Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen (1453), welche das Byzantinische Reich restlos auslöschte. Doch retteten Gelehrte aus den byzantinischen Bibliotheken zuvor noch zahlreiche antike Bücher, welche von dort ihren Weg nach Venedig und von dort nach Europa fanden und ein neues Denken bewirkten.
Dieser geistige Zivilisationsschub der Renaissance, der zudem mit der Entdeckung der Neuen Welt einherging, war aber nicht immer offenkundig, sondern diese "Leuchttürme" des Renaissance-Humanismus und der beginnenden Aufklärung, waren nicht selten aufgeklärte Bürger und Adlige, die im verborgenen agierten, denn die große Zeit der Scheiterhaufen war gar nicht das Mittelalter, wie so oft zitiert, sondern merkwürdigerweise das Zeitalter der Renaissance.
Dieses neue humanistisch Denken war auch nicht immer wissenschaftlich fundiert, ebenfalls ein Irrtum unserer heutigen Zeit, sondern zutiefst religionsphilosophisch flankiert. Und was war das für eine Denkweise? Es war dies der Gedankenfluss und die Religionsphilosophie der Spätantike, der nördlich der Alpen fast genau 1.200 Jahre eine Unterbrechung erlitten hatte. Religionsgeschichtlich ist es durchaus bemerkenswert, dass sich in jener hellenistischen Kultur der Spätantike eine Religiosität entwickelte, die fast gar nichts mehr mit dem zu tun hatte, was wir uns heute unter dem klassischen Götterkult der Griechen oder Römer vorstellen.
Der traditionelle antike Götterkult war zwar der offizielle Staatskult im Römischen Reich und in den Tempeln wurde seit Alters her auf ein und die selbe Art geopfert, doch hat sich parallel zu dieser exoterischen Religionsausübung eine lebensnahe, esoterisch-philosophische Religiosität geformt, die nicht selten ein monotheistisches Gottesbild vertrat. Dabei verwarf man die alten griechisch-ägyptischen Göttermythen durchaus nicht, sondern achtete die alten Legenden als Kulturgut und legte sie allegorisch aus. Auf der Suche nach göttlichen Offenbarungen hat man übrigens auch die jüdischen heiligen Bücher genaustes studiert. Doch auch hier sah man nicht auf den Buchstaben, sondern übte die allegorische Auslegung der hoch geachteten und uralten Schriften. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom philosophischen Monotheismus (Glaube an nur einen Gott), deren bekannteste Vertreter die Platoniker darstellen. Die Pythagoräer sind hier zu nennen, doch auch Stoiker. Neben diesen philosophischen Strömungen ist eine umfangreiche religionsphilosophische Literatur bekannt – diese mit ägyptischen Hintergrund – welche man unter dem Begriff der "mystischen Hermesliteratur" zusammenfasst: es handelt sich hierbei um die Schrift "Asklepios" und um die "Siebzehn Bücher des Hermes Trismegistos" (Corpus Hermeticum) [1], und: "Tabula Smaragdina", "Picatrix" und "Kybalion". Diese Literatur, welche in dieser Form nicht vor dem 3. Jahrhundert entstanden ist, stellt eine Quellenszusammenfassung dar, welche sicher uralt sein muss und auf die Mystik des alten Ägypten weisen.
Die Anhänger dieser mystischen Kulturströmung (der "Hermetischen Kunst") die man sich nicht als eine Religionsgemeinschaft denken darf, nennt man Hermetiker (Wortstamm: von hermetisch, sich auf den Götterboten Hermes beziehend. Die Hermetische Kunst beeinflusste die jüdische Kultur (Kabbala), aber auch die Philosophie im arabischen Raum.
Im christlichen Europa lebte die Philosophie der Hermetik seit der Antike in der Alchemie weiter, fand sich vielleicht bei den Templern und wurde von den Rosenkreuzern übernommen. Die Schriften Corpus Hermeticum wurden aber erst in der Renaissance neu aufgefunden und machten dann in den humanistischen und gebildeten Kreisen der Oberschicht schnell die Runde. Überhaupt war die Renaissance allgemeinen das Zeitalter der Wiederentdeckung antiker Kunst, Literatur und Philosophie und man war in sie bis in die Zeit des frühen Barock hinein wohl auch förmlich vernarrt – jedenfalls was die antike Mythologie betraf – besonders auch die der antiken Eleusinischen Mysterien.
Mystische Symbolik im Schloss Cormatin (Frankreich)
Ein schönes Beispiel dieses oben beschriebenen neuen Denkens habe ich im Burgund entdeckt und zwar im Schloss Cormatin (bei Taizé und Cluny). In diesem im 17. Jahrhundert, durch den von Marquis d’Huxelles, erbauten Renaissance-Schloss (Château de Cormatin) befindet sich ein "Philosophen-Kabinett" (Cabinet d’Harmonie) [2]. Es ist ein sogenanntes Studiolo, also ein spezieller Raum, welcher dem Studium der Künsten gewidmet ist. Das Kabinett des Marquis d’Huxelles (um 1626 datiert) ist vermutlich mehr ein Alchemisten-Kabinett, welches aber keinen chemischen Experimenten dient, sondern ein Raum mystischen Einweihung ist. Profaner ausgedrückt, eine Art Lehrstube für den geistigen Adel, so wie es hundert Jahre später später die Freimaurer mit anderen Symbolbildern ähnlich praktizierten.
Im Schloss Cormatin, was heute touristisch bestens erschlossen ist, finden sich etliche originale Räume aus dem 17. Jahrhundert mit bemerkenswerten Ausmalungen. Bereits die repräsentativen Wohnräume weisen eine umfangreiche Bildsprache und Symbolik auf, welche den adeligen Tugenden huldigen, aber auch tiefer gehende Andeutungen aufweisen. Auch gibt es im Schloss eine gut erhaltene Wunderkammer (Kuriositätenkabinett), eine Besonderheit jener Zeit, welche wir durchaus in Zusammenhang mit dem sehr gut erhaltenen Studiolo sehen können, wenn man die einzelnen Räume als Gesamtkunstwerk als eine Art Einweihungsweg erkennt, der von dem Äußeren zum Inneren führen soll.
Der Raum selber liegt auf der Nordseite des Schlosses und hat ein Fenster, welches bewusst nach Norden weist zum Ruhepol und Weltachse des Himmels, zum Polarstern. Im reichlich ausgemalten und verzierten Kabinett finden wir nun vor allem platonisches Gedankengut. Wir endecken einen Phönix, der sich erhebt, als die von Zwängen der Materie befreite Seele – doch ist der Feuervogel gerahmt von Waffentrophäen, welche erinnern sollen, dass dieser Weg eine mystische Initiation und ein Kampf gegen sich selbst ist. Die Erlösung der Seele von den Zwängen der Materie ist wichtiger Teil hermetischer und der platonischen (neuplatonischen) Philosophie.
In dem Raum befinden sich auf Wandbilderen symbolisiert vier Tugenden, die nach für die Wiedergeburt der Seele vonnöten sind, auf einer anderen Ebene aber auch die Tugenden einer Staatsmacht idealisiert. Dererlei Initiations-Philosophien haben immer Erkenntnisabstufen, die den Leib-Seele-Geist-Prinzip entsprechen, also Weltliche, Künstlerische und Geistige Aspekte. Die vier Kardinaltugenden sind:
- Weisheit (Vorsicht)
- Tapferkeit (Opfermut)
- Mäßigung (Verständigkeit/Einsicht)
- Gerechtigkeit (Fundament für die oberen 3 Tugenden)
Das Abbild der Weisheit ist eine Frau, welche in der linken Hand den Spiegel der Selbsterkenntnis hält. In der anderen Hand umfasst sie einen Pfeil, um den sich eine Schlange windet. In diesem Zusammenhang ist die Schlange ist Symbol für die angemahnte Vorsichtigkeit und der Pfeil ist Bild für die Eile. Es sagt zum Betrachter: sei vorsichtig und ziehe keine voreiligen Schlüsse und prüfe dich vor einem Urteil zuvor selbst. Die Tapferkeit ist im Nächten Bild die Stärke gepaart mit der Moral. Minerva (Symbol für den Adel) trägt die Säule das biblischen Samson. Letzterer Held brachte ein Tempelgebäude der feindlichen Philister zum Einsturz und kam dabei selber um.
Die Tugend der Mäßigung (Temperenz) ist dargestellt durch ein Weib, welches einen Krug und einen Kelch in den Händen hält. Doch ihr Fuß ist duch die Gicht verkrüppelt. Damals wusste man also bereits recht gut, dass diese Wohlstandskrankheit durch extensive Lebensweise und viel Alkoholgenuss entsteht. Neben der Darstellung der Haupttugenden steht die Tugend der Gerechtigkeit im Raum. Dieser Wunsch zur moralische Stärke der Rechtschaffenheit ist wiederum duch ein Frauenbildnis dargestellt mit einer Waage in linker Hand und durch das Schwert, dem Symbol für das Urteilen.
Kornährensymbole finden sie viele in den Räumlichkeiten des Schlosses von Marquis von Uxelles und Cormatin, des Nicolas Chalon du Blé (1652 –1730) schon deshalb, weil der Name der Famile Blé Kornähre/Weizen bedeutet. Doch das Korn ist auch ein Hauptsymbol des antiken geheimen Eleusinischen Mysterienkultus, auf welchen die Cerces hinweist. Hier im Wandgemälde des Kabinetts hält Ceres, die Göttin der Ernte und der Fruchtbarkeit, eine Korngabe in ihren Armen – das Symbol für die vollendete, vollreife Menschenseele: "Gemäß dem Willen, Entsprechungen zwischen der antiken Religion und dem Christentum herzustellen, wird Ceres hier quasi als Jungfrau mit Kind dargestellt. Doch als Kind hält sie sie Korngarbe in Ihren Armen." Überhaupt ist das ganze Bildprogramm im Schloss so aufgestellt, dass es das Christliche Gedankengut ergänzt und auf den ersten Blick vor allem christlichen Tugenden huldigt. Ebenso verhält es sich mit dem, unter dem eingangs beschiebenen vergoldeten Phönix befindlichen Bildnis der heiligen Cäcilie, der Schutzpatronin der Musik. Für den gläubigen Katholik ist es eine Heilige, doch für den Platoniker gehört diese Symboldarstellung zum platonischen Lehrgebäude. "Musik und Rhythmus finden ihren Weg zu den geheimsten Plätzen der Seele." lesen wir bei Platon in seinem Werk Politeia (Der Staat). Die Musik ist für den Platoniker ein Symbol der Lebensenergie der Seele und der Harmonie im Sinne der Vereinigung von Entgegengesetztem zu einem ebenmäßign Ganzen, also von Geist und Seele. Durch die Muse und Musik verbindet sich die Seele mit dem Ungeschaffenen und befreit sich von den Leidenschaften der Materie.
Das Kabinett der Harmonie – ein Raum der Mystischen Einweihung im Schloss Cormatin – der seine vollendete Wirkung und vor allem der vergoldeten Elemente (Bilder oben) wird aber erst bei völliger Dunkelheit und sparsamen Kerzenlicht entfaltet – der Raum wird neben goldener Farbe von der Farbe Blau dominiert. Die Farbe Blau drückt den Verzicht auf die irdischen Werte aus. Dieser Raum ist also ein Ort der geistigen Erhebung. Überdies kann dieses Kabinett durch einen langen, dunklen Gang betreten werden, wo der Gast in Anlehnung an den antiken eleusischen Mysterienkult den lichten (golddurchfluteten) Einweihungsort erst nach Durchschreiten der Dunkelheit betritt.
Der Hang einer gewissen geistig-intelektuellen Oberschicht zu solchen mystischen Anschauungen und Orten war in der Renaissancezeit, in der darauf folgenden Barockzeit und mit dem beginnenden Klassizismus sehr verbreitet. Durch eine ähnliche Gedankenwelt entstand beispielsweise der Schlosspark in Machern bei Leipzig, welcher gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand und in gartenarchitektonischer Form einen mystischen Einweihungsweg beherbergt.
Die Gärten von Cormatin
Eine Besonderheit ist nicht nur das Schloss, sondern mit Sicherheit auch der Schlossgarten. Richtiger allerdings: die Gärten - denn das Schloss wird von einer Palette verschiedenster - meist architektonischer Gärten umgeben, welche das Schloss Rahmen und in jeder Weise die Architektur des Bauwerkes im Zusammenspiel mit den Teichanlagen steigern. Die Anlagen sind bis auf einig ewenige alte Bäume nicht mehr original. Man will heute wohl die wunderschön gestalteten Gartenanlagen thematisch an das neuplatonische Romanwerk der Renaiccance "Hypnerotomachia Poliphili" (Der Traum des Poliphilus) anlehnen. Das 1499 veröffentlichte Werk war in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Bestseller geworden. Die in dem Roman beschriebenen wunderbaren Traumwelten und magischen Gärten, durch die sich der Protagonist bewegt, ist voller Metapheren und Rätsel, welche Motive und Einblicke in die bald entstehenden barocken Gartenwelten zeigen.
Ein Philosphie-Kabinett (Studiolo) im eigenen Garten?
Da hier auf diesen Seiten vorzugsweise gartengestalterische Themen behandelt werden, sei darauf hingewiesen, dass der Autor schon mehrfach auf die Möglichkeit hingewiesen hat, im eigenen Garten im Gartenhaus ein Kabinett in ähnlicher Art einzurichten, wie es der Marquis d’Huxelles in seinem Schloss tat. Nur ist die Bezeichnung eines sochen Raumes beim Autor eine andere.
Es ist die Einrichtung einer Gartenbibliothek im Gartenhaus, welche man auch gleichzeitig zu einem Ort des Rückzugs gestalten kann und wo es außerdem möglich ist, von der Einrichtung her, vom konfessionellen Vorgaben etwas abzuweichen. Das Kabinett des Marquis d’Huxelles kann uns da sicher zu entsprechende Ideen anregen. Zudem werden wir, wenn wir unseren Hausgarten als eine Art künstlerisches, geheimnisvolles Refugium betrachten, neue und sinnreiche Ideen und Themen für dessen Gestaltung finden.
- [1] Nachdruck in deutscher Übersetzung erhältlich, besonders beachtenswert dazu die umfangreiche Einleitung der Übersetzerin Maria Magdalena Miller (1898-1990): "Die Traktate des Corpus Hermeticum" Novalis-Verlag, 2004
- [2] Das Kabinett des Marquis d’Huxelles, um 1626 datiert hat noch weitere Namen, wie Kabinett der Harmonie (Cabinet d’Harmonie), oder "Kabinett der Heiligen Cäcilie".
- Quellen: Cormatin, Connaissance des Arts, Sondernummer 58; Deutsche Übersetzung: Beate E. Renner 2006 Darin: Das Kabinett der Harmonie, von Marc Simonet-Lenglart
- Bildquelle Hermes, Ferdinand Runkel; Geschichte der Freimaurerei in Deutschland von; 1932 Darstellung des Hermes in einer alten Handschrift: "Hermetische Philosophie oder wahre, würckliche und aufrichtige Beschreibung des Steines der Weisen von Friedrich Gualdo, einen deutschen hermetischen Philosophen und wahren Adepten." Schriftgut aus den Kreisen der Rosenkreuzer.
- Quelle Schlosspalan, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b6939194w/f1.item.r=plan%20d'etage